Sonntag, 19. Oktober 2014

Lost in Train Station II



Das Wochenende verlief extrem entspannt. Wir genossen das spätsommerliche Wetter, ließen es uns in Cafés, Biergärten, Restaurants und Bars gut gehen, erkundeten die verschiedensten Sehenswürdigkeiten, schipperten über den Neckar, sahen Anderen dabei zu, wie sie schwitzend-schnaufend den Königstuhl hochrannten, während wir die gemütliche Tourivariante mit der historischen Drahtseilbahn bevorzugten und uns, nach dieser wahnsinnigen Anstrengung, erst einmal mit einem kühlen Getränk erfrischen mussten, um die Aussicht entsprechend würdigen zu können. Zwei Tage ohne Hektik und Stress. Ein Hauch von Urlaubsgefühl stellte sich ein und bis etwa Sonntag 15 Uhr genossen wir das Leben in vollen Zügen … ach nee, Moment, der Teil mit den vollen Zügen sollte ja erst noch kommen.
Mit der Entspannung war es am frühen Sonntagnachmittag dann aber vorbei, als mir plötzlich bewusst wurde, dass der Montag immer näher rückte und es bis zurück nach Berlin, wohl oder übel noch ein Weilchen dauern würde. Eine passende Zugverbindung zum Flughafen hatte ich mir vorab bereits rausgesucht und so packte ich, trotz allem gut gelaunt, meinen Koffer. Bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof machte, wollte ich – eigentlich nur pro forma und nichts Böses ahnend – eben kurz meine Zugverbindung von Heidelberg nach Frankfurt Main Flughafen Fernbahnhof prüfen. Beim Anblick des rot leuchtenden Warnsignaldreiecks verschob sich meine rechte Augenbraue spontan Richtung Haaransatz, die Augen drehten ein, zwei Loopings und die gesunde Gesichtsfarbe wich einem dezenten aschgrau. Dank der Tatsache, dass – wie ich bei genauerem Hinsehen feststellen konnte – trotz Signalstörung nur circa zehn Minuten – kein Problem – Verspätung angedroht wurden, ließ, in Kombination mit leicht aufsteigendem Bahn-Hass, wieder etwas Farbe, wenn auch mit erhöhtem Rotanteil, in mein Gesicht zurück kehren und ich machte mich auf den Weg zum Bahnhof. Schnell noch ein Zugticket gekauft und ab in die Regionalbahn nach Mannheim. Pünktlich! Dort angekommen, wechselte ich rasch auf den benachbarten Bahnsteig und stand plötzlich in einer übellaunigen Menschenansammlung, die die Stuttgart-21-Demonstrationen rückwirkend als geselliges Volksfest erscheinen ließen. Ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel erklärte das wilde Treiben: „circa. 25 Minuten Verspätung“. Ich schaute auf meine Uhr, rechnete kurz nach und konnte beruhigt konstatieren, dass mir in Frankfurt trotzallem noch eine gute halbe Stunde Luft bis zum Gate blieb. Recht knapp, aber wird schon passen. In diesem Moment fiel mir auf, dass auf dem Nachbargleis ein Intercity mit Halt in Frankfurt Hauptbahnhof stand und wohl alsbald abfahren würde. Ich fand recht zügig ein Mitglied des örtlichen Servicepersonals und konfrontierte ihn mit der Frage, wann denn dieser Zug in der Bankenmetropole ankommen würde. Antwort: „Gegen 17.30 Uhr.“ Ich schaute etwas verdutzt, denn für die Strecke Mannheim Frankfurt werden normaler Weise gut dreißig und nicht über sechzig Minuten benötigt. Kurz überlegt und ermittelt wie lange die S-Bahnfahrt vom Hauptbahnhof zum Flughafen dauert und entschieden, dass es tatsächlich keinen Vorteil bringen würde – theoretisch. Ich kam dann zufällig mit dem einzig wirklich unbeeindruckten am Bahnsteig stehenden Typen ins Gespräch. Er wollte auch zum Flughafen, um von dort weiter nach Peking zu reisen, geschäftlich. Er hatte gerade die Information erhalten, dass sein Flug gut fünfeinhalb Stunden Verspätung haben würde, was seine der eigentlichen Situation völlig unangemessene Gelassenheit erklärte. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, ebenfalls über die Unzumutbarkeit der Zustände bei der Bahn im Allgemeinen und im Speziellen zu wettern. Auf dem Gleis direkt vor uns fuhr eine Regionalbahn ein und stiftete kurz zusätzliche Verwirrung. Wir unterhielten uns ein wenig, ich schilderte ihm meine zunehmende Zeitnot und erhielt dafür beruhigenden Zuspruch. Als wir plötzlich von einer Schülerin, leicht außer Atem, angesprochen und gefragt wurden, ob den die Regionalbahn schon durch sei. Wir schauten uns an und mussten ihr leider mitteilen, dass diese offensichtlich vor wenigen Augenblicken abgefahren sein musste, denn der Zug stand nicht mehr vor uns. Sie stampfte fluchend auf und stöhnte: „Ist das Drecksding schon wieder zu früh abgefahren!“. Ich vermute spontan, die Bahn versucht mit diesem Trick ihre Statistik aufzubessern: 25 Minuten zu spät, plus 3 Minuten zu früh, sind schon nur noch 22 Minuten Verspätung, oder ein Zug zu spät, einer zu früh, bedeutet im Mittelwert alle pünktlich. Die Schülerin zischt davon und wir warten weiter auf den ICE. Die prognostizierte Verspätung ist fast rum, als die Durchsage ertönt, der ICE würde gleich einfahren. Kurz darauf folgt die nächste Ansage: „Der ICE nach Dortmund verkehrt heute nur mit einem Zugteil in den Abschnitten A bis C“. Kluge Entscheidung, Sonntagnachmittag sind, vor allem nach einem langen Wochenende, im Verhältnis zu sonst auch eher weniger Passagier zu erwarten. Auf diese Information hin bewegt sich die versammelte Menschenmasse in Richtung der Abschnitte A bis C und komprimiert sich ebenda. Der ICE fährt ein, ein Blick auf die Uhr, auf ein paar Minuten kommt es nun auch nicht mehr an, und mit Mühe und Not quetschen sich die wenigen Aussteige Willigen durch die wartende Menge aus dem schon mehr als gut gefüllten Zug. Die letzten kollidieren schon unausweichlich mit den Sitzplatzjagenden Einsteigern. Schon mal gesehen, was passiert, wenn man etwas Futter in ein Becken voller hungriger Piranhas wirft? So ungefähr ging es in etwa zu diesem Zeitpunkt auf dem Mannheimer Hauptbahnhof zu. Als sich dann endlich alle in den Zug gedrängt hatten, ich konnte einen Stehplatz direkt zwischen Gepäckverstauraum und Türbereich ergattern – so käme ich an der nächsten Station wenigsten wieder recht schnell aus dem ICE raus – tauchte ein Zugbegleiterin mit dem charmant-freundlichen Gesichtsausdruck einer Abrissbirne vor der Tür auf und plärrte: „Sie könn‘ direkt wieder aussteigen, der Zug fährt SO!!! nicht los. Könn‘ se vergessen!!!“. Sämtliche Zuginsassen – selten passte die Beschreibung besser – schauten sich an, blickten mit dem unmissverständlichen Gesichtsausdruck „WIR steigen HIER nicht aus! Kannst DU voll vergessen!“ Richtung Uniformtante. Diese wiederholte Ihre liebevolle Ansage, überraschender Weise ohne spürbaren Effekt. Interessanter Weise habe nicht nur ich, sondern auch zahlreiche andere Passagiere, schon vollere Züge fahrend erlebt. Ein älterer Herr steht mir gegenüber und meint, dass der selbe Zug jeden Morgen und jeden Abend mit deutlich mehr Pendlern gefüllt ist, als gerade jetzt. Schließlich besteht immer noch die Möglichkeit, sich durch die Gänge zu quetschen und auch übermäßiger Körperkontakt ist noch gut zu vermeiden. Die Stimmung im Zug selbst ist noch relativ gelassen – der geballte Hass kanalisiert sich auf die Bahn an sich und die Zugbegleiterin im Speziellen. Sogar ich bleibe, wenn auch mit nervöser werdendem Blick auf meine Uhr und einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Zweckoptimismus, unverhältnismäßig entspannt. Der ICE steht nun schon etwa zehn weitere Minuten regungslos im Bahnhof, draußen ertönen im unablässigen Wechsel die verschiedensten Verspätungsansagen über sämtliche Gleise, als sich der Lokführer zu Wort meldet und mitteilt: „Wir fahren so nicht weiter! Wer jetzt aussteigt und den nächsten Zug nimmt, bekommt einen fünfundzwanzig Euro Gutschein von der Bahn.“ (Das lass ich erst mal unkommentiert!) Im Zug hingegen brach schallendes Gelächter aus. Lediglich eine vierköpfige Damenreisegruppe begann kurzzeitig darüber zu debattieren, ob sie auf dieses unmoralische Angebot eingehen sollte. Schließlich waren von der Stunde, die der nächste ICE Richtung Ruhrpott später kommen sollte, bereits drei Viertel vergangen. Ich suchte über mein Telefon in der Zwischenzeit alternative Möglichkeiten noch am selben Tag von Mannheim bis nach Berlin zu gelangen, denn die Hoffnung, meinen Flug noch zu erreichen, war derweil nahezu gänzlich verschwunden. Die Stimme des Lokführers erklang erneut und wiederholte die Gutschein-Ansage. Etwa eine Hand voll Fahrgäste stieg entnervt aus, wodurch auch die Damen aus dem Pott wieder das Überlegen anfingen und nach einigem Hin und Her ebenfalls den Zug verließen. Als die ersten zwei wieder festen Boden unter den Füßen hatten, erklang am Bahnsteig das liebliche Ding-Dong „Der nachfolgende ICE nach Dortmund, heute voraussichtlich eine Stunde später!“ und – schneller als man gucken konnte – standen alle vier, in einer Hand den Koffer, die andere wild gegen die Stirn tippend, wieder im Zug.
Ich schaute auf meine Uhr: noch knapp fünfzig Minuten bis zum Abflug, davon noch dreißig Minuten offiziell Fahrtzeit. Ich resignierte. Griff nach meinem Koffer, ging zur Tür, verabschiedete mich bei den Umstehenden mit einem Lächeln, wünschte viel Erfolg bei der Weiterreise, verfluchte die Deutsche Bahn, setzte den ersten Fuß auf den Bahnsteig, drehte mich direkt wieder um, begrüßte die plötzlich freudig erregten Gesichter und nahm exakt die Position von vor fünfzehn Sekunden wieder ein. Was war passiert? Ich hatte den Zug noch gar nicht komplett verlassen, als exakt in diesem Moment durch die Lautsprecheranlage, die „nun doch“ Abfahrt des Zuges angekündigt wurde. Leichter Beifall brandete auf. Die Türen schlossen sich und der Zug setzte sich tatsächlich in Bewegung. Die Ansage des Zugkapitäns annoncierte eine Ankunft am Frankfurter Flughafen gut zwanzig Minuten vor Abflug. Ich schnappte mein Telefon, wählte die Servicenummer der Lufthansa und landete erstaunlich schnell bei einer menschlichen Stimme. Ich schilderte ihr meine aktuelle Situation und bekam die Anweisung, mich bei der Ankunft direkt am erst besten Lufthansa-Schalter zu melden, damit von dort die Info ans Gate weitergegeben werden könnte. Ein Hauch von Zuversicht kam zurück. Dennoch fragte ich spontan nach, was denn wäre, wenn ich „wider Erwarten“ den Flug nicht mehr bekäme und was mich ein neues Ticket kosten würde. Ich hatte nun also ein halbe Stunde Zeit, um abzuwägen, ob ich lieber für 300 Euro, dafür aber mit nur einer Stunde Verspätung, oder aber für 150 Euro, mit der Bahn und im Idealfall mit fünf Stunden Verspätung, irgendwann nach Mitternacht, zu Hause ankommen wollte. Die Entscheidung war, anhand des bereits erlebten Zustandes bei der Bahn und dem nicht geringen Risiko womöglich in Wolfsburg oder Hannover über Nacht zu stranden, relativ schnell getroffen. Aber noch lebte ja die Hoffnung. Zumindest bis ins Örtchen Biblis. Wieso ich das so genau sagen kann? Dort legte der ICE einen extra einen Stopp ein, damit auch jeder das Schild am Bahnsteig in aller Ruhe lesen konnte. Überflüssig zu erwähnen, dass eine Information vom Zugpersonal aus blieb. Die Zeit verrann. Nach und nach erzählte jeder der umstehenden Leidensgenossen seine tagesaktuelle Reisegeschichte: Wo kam man her? Wo wollte man noch hin? Köln, Kanaren, Madagaskar? Und wie viel Zeit bleibt noch bis zum Abflug oder zum nächsten Zuganschluss.
Als keiner mehr ernsthaft damit rechnete, fuhr der Zug doch noch im Frankfurter Flughafenbahnhof ein – mit genau 61 Minuten Verspätung und neun Minuten vorm Abflug. Ich schnappte, zugegeben wenig hoffnungsvoll, meinen Koffer und rannte los – vielleicht hat ja der Flieger auch etwas Zeitrückstand. Wer den Frankfurter Airport kennt, weiß, da ist immer einiges an Wegstrecke zurückzulegen. Und dennoch stand ich nach ziemlich exakt drei Minuten, mit knalle rotem Kopf und dem vermutlich freundlichen Gesichtsausdruck eines Bulldozers, am erst besten Lufthansa Check-In-Schalter. Der Flug war natürlich schon geschlossen und mir blieb nichts anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu fügen und mich nach der nächsten Heimreisemöglichkeit zu erkunden. Köfferchen geschnappt, die Rolltreppe wieder nach oben und am Lufthansa-Ticket-Schalter für die kleine Kleinigkeit von fast dreihundert Euro ein Ticket für den nächsten, beziehungsweise übernächsten Berlinflieger zu erstehen. Ich hatte nun also wieder etwas Zeit und beschloss, meine besonders gute Laune noch eben schnell mit dem immer freundlichen und hilfsbereiten Personal am Service-Point der Bahn zu teilen. Ich lief also zurück zum Bahnterminal und erklärte dem armen Kerl hinter dem Schalter, in ruhigen und sachlichen Worten, wie zufrieden ich mit der Dienstleistung der Bahn wäre, bis dieser auf Streichholzschachtelgröße zusammengefaltet war und Tränen in den Augen hatte. Ich griff mir eines der Beschwerdeformulare, ließ mir die Verspätung quittieren und machte mich grußlos zurück auf den Weg Richtung Check-In. Von da an lief alles relativ reibungslos. Ich war, trotz einer viertel Stunde Verspätung – who cares? – am Ende ziemlich genau eine Stunde später und dreihundert Tacken ärmer endlich in Berlin angekommen und heilfroh, nicht auf die absolut verrückte Idee gekommen zu sein, von Frankfurt mit dem Zug weiter nach Berlin zu fahren. Ich wäre vermutlich heute noch nicht wieder zu Hause. Bleibt die spannende Frage, welche Antwort werde ich von der Bahn auf mein Beschwerdeschreiben und die Geldrückforderung erhalten …

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Lost in Train Station



Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen in meinem Blog nie, wirklich niemals einen Beitrag über die geballte Inkompetenz der Deutschen Bahn AG zu schreiben, denn sie gibt einem ja im Grunde bei jeder Reise auf Schienen mindestens einen Anlass um sich gehörig aufzuregen. Aber was sich die Bahn am letzten Wochenende, einem Dank Freitag-Feiertag verlängertem und spätsommerlichem Wetter idealen Reisewochenende geleistet hat spottet wirklich jeder Beschreibung. Ich werde versuchen, auf wüste Beschimpfungen und unendliche Hasstiraden zu verzichten und mich für eventuelle verbale Ausfälle direkt im Vorhinein entschuldigen.
Ich hatte also, wie ganz offensichtlich einige andere auch, die glorreiche Idee, das Wochenende zum Reisen und Freunde besuchen zu nutzen. Kurz gesagt: einmal Berlin – Heidelberg und zurück. Um Zeit und Geld zu sparen entschied ich, das erste Teilstück von Berlin nach Frankfurt mit dem Flugzeug zurückzulegen und nur für das letzte Stück den Zug zu wählen. Ich glaube, ich hatte dabei Gedanken wie „Risikominimierung“ und „Nervenschonung“ im Hinterkopf. Nun ja, ich möchte nicht zu viel vorweg verraten, aber der Plan ist irgendwie nicht ganz aufgegangen. Doch der Reihe nach. Die Flüge waren bereits lange gebucht, die passenden Zugverbindungen recherchiert und so machte ich mich am späten Freitagvormittag auf in Richtung Berliner Flughafen. Dem in Tegel, denn der funktioniert ja noch. Eingecheckt hatte ich bereits online und um auf die zeitraubende Gepäckabgabe verzichten zu können, musste – für die drei Tage – Handgepäck ausreichen. Ich packe also, um den Security Check nicht unnötig in die Länge zu ziehen, vorsichtshalber sämtliche Hieb-, Stich- und Schusswaffen, Kugelschreiberminen, Plastikgabeln, Flammenwerfer, Sprengstoffe und radioaktiven Materialien gar nicht erst in den Koffer und die Hygiene-Flüssigkeiten in einen separaten, durchsichtigen Zipp-Beutel. Ganz im Gegenteil zu dem Passagier, der wenig später direkt vor mir versucht durch die Sicherheitskontrolle zu gelangen. Aber so etwas hatte ich, ebenso wie einen verpassten Bus, der mich laut Fahrplan in circa zwanzig Minuten zum Flughafenterminal bringen sollte, in meiner dennoch sportlichen Zeitplanung einkalkuliert. Und so war ich auch immer noch völlig entspannt, als ich den avisierten Bus, oder seinen erheblich verspäteten Vorgänger, ungefähr zweieinhalb Minuten vor offizieller Abfahrt fröhlich vor meiner Nase davonfahren sah, egal, noch fünfundfünfzig Minuten bis zum Boarding. Die ersten zehn Haltestellenminuten vergingen, kein Bus, noch fünfundvierzig Minuten. Die nächsten fünf Haltestellenminuten vergingen, etwas langsamer, immer noch kein Bus, vierzig Minuten bis zum Boarding. Leichte Nervosität kam auf und ich schmiedete bereits erste Plan-Bs, doch auch Taxen verirrten sich an diesem Feiertag nur wenige auf Berlins Straßen. Weitere fünf Minuten verrannen. Ich vermisste, zusammen mit einer Leidensgenossin, somit schon den dritten Bus und  wurde durchaus etwas unruhig, bis dann endlich, mit nur wenigen Minuten Verspätung, der leicht überfüllte Bus gen Flughafen auftauchte. Meinem Schicksal überlassen, hoffte ich nun, gut zweiunddreißig Minuten bis zum Boarding, zumindest nicht noch in einen kapitalen Stau zu geraten. Als erste kleine Rache an der BVG ersparte ich meiner Mitwarterin den Kauf eines Tickets und schob sie, wild mit meiner Monatskarte winkend, am bereits nach dem Geld lechzenden Busfahrer vorbei und konnte somit dafür sorgen, dass sich Ihre Gesichtszüge ein wenig entspannten. Am Flughafenterminal angekommen – noch elf Minuten –, durchquerte ich dieses mit recht zügigem Schritt in Richtung Gate, welches sich logischer Weise am hintersten Ende des Terminals befand und reihte mich, in die wie erwartet, kurze Schlange am Security Check ein. Der schon erwähnte potentielle Terrorist vor mir fietschte beim Durchqueren des Metalldetektors wie ein Irrer. Zurück. Laptop, Uhr, Kette, Kleingeld, Gürtel hätte man ja vorher ablegen können. Zweiter Versuch: gleiches Ergebnis. Noch mehr Kleingeld. Und ganz offensichtlich diverse Metallplatten und Piercings im und am Körper. Dazu Nieten an der Hose und Stahlkappen in den Schuhen. Der Typ stand also noch eine Weile da rum und wurde aufs penibelste mit dem Handmetalldetektor abgecheckt. Ich wurde vorbei gewunken. Nichts. Als ich Gürtel und Armbanduhr wieder anlegte, immer noch sieben Minuten, und meinen Koffer entgegennahm, wurde die Tasche meines Vorgängers schon mal mit hochgezogener Augenbraue dezent zur Seite gezogen. Ich machte mich derweil auf den Weg in den Duty Free Shop, Gastgeschenk besorgen. Noch schnell eine Zeitung gegriffen, alles verstaut und ab ins Flugzeug.
Nach kurzem Auf und wieder Ab, einem schnellen Kaffee und einer Rundfahrt über den Frankfurter Flughafen, die ungefähr so lange dauerte, wie der eigentliche Flug, begab ich mich zügig, aber mit leichtem Umweg, in Richtung des Bahnanschlusses Gleis 4. Dank meiner guten Vorbereitung, wusste ich, dass in etwa fünfzehn Minuten der nächste ICE Richtung Mannheim fahren und ich in etwa einer Stunde, pünktlich zu Kaffee und Kuchen, mein Reiseziel entspannt erreicht haben sollte. Soweit die Theorie. In Realität empfing mich die Bahn mit dem freundlichen Hinweis: „ICE 0815 – heute circa. Fünfundzwanzig Minuten später“ und gab mir so die Möglichkeit, noch etwas durch den vorhandenen Supermarkt zu schlendern und die fantastische Aussicht aus dem Untergeschoss des Bahnhofs zu genießen. Als der Inter City Express dann endlich eintraf, hielt er folgenden zusätzlichen kleinen Überraschungen parat: „umgekehrte Wagenreihung“ und „heute am Gleis 5“ und sorgte damit für leichtes Extra-Tohuwabohu am Bahnsteig – Leser, die dieses Ereignis schon einmal live miterleben durften, wissen wovon ich rede. Eine „Wall of Death“ beim Wacken-Festival ist ein Kindergeburtstag dagegen. Immerhin, ich konnte sogar einen Sitzplatz ergattern und hatte somit alle Ruhe, um nach der alternativen Anschlussverbindung von Mannheim nach Heidelberg zu suchen. Schnell musste ich feststellen, dass dank des Feiertags, die S-Bahnen in deutlich größeren Abständen fuhren, als erwartet und so hoffte ich, um nicht eine weitere sinnlose halbe Stunde im stin…, ähm, in Mannheim ausharren zu müssen, die nächste S-Bahn noch knapp zu erwischen. Um es positiv zu formulieren: ich konnte noch aus relativ nächster Nähe feststellen, dass diese S-Bahn den Bahnhof sehr pünktlich Richtung Südosten verlies. Ganz offensichtlich hatte ich damit gerade noch den einzigen Zug des Tages gesehen, der den vorgesehenen Fahrplan einhielt, den nur wenige Augenblicke später, dröhnte aus dem Lautsprecher vom Nachbargleis der Hinweis, dass ein Inter City nach Stuttgart – Surprise, Surprise – mit Halt in Heidelberg „heute mit fünfunddreißig Minuten Verspätung“ mich in einigen Minuten an mein Reiseziel bringen würde. Und schwupp-die-wupp war ich, die Fahrt in bester Gesellschaft einer Gruppe rotzbesoffener und weder ihrer Zungen noch sonstigen Körperteile kontrollmächtiger Jugendlichen auf „Kegelfahrt“, nur eine viertel Stunde später am Ziel angekommen, voller Vorfreude auf das bevorstehende Wochenende und ohne einen Gedanken an die mich erwartende, sagen wir eindrucksvolle, Rückreise.
To be continued…

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Reif für die Insel?!

So eine Urlaubswoche ist zwar immer viel zu schnell wieder vorbei, aber wenn das Reiseziel Gozo hieß, kann man durchaus etwas länger von den vielen Eindrücken zehren. Allen die jetzt wild am googlen sind: „Gozo? Wo soll das denn sein?“, kann ich verraten, dass es sich dabei um die kleine Schwesterninsel von Malta handelt. Etwa 100 Kilometer südlich von Sizilien, mitten im Mittelmeer, gelegen und in etwa drei Flugstunden von Deutschland aus zu erreichen, ist der maltesische Inselarchipel durchaus noch ein Geheimtipp für all diejenigen, die sich nicht den ganzen Tag an kilometerlangen Sandstränden durchgrillen lassen wollen oder lieber Eiswüsten durchwandern. Während die Hauptinsel Malta mit ihren 28 mal 14 Kilometern schon nicht gerade riesig ist, ist Gozo mit 14 mal 8 Kilometern erst recht sehr überschaubar. Doch das hat durchaus seine Vorteile, denn so gelangt man, egal ob zu Fuß, mit dem Rad, Quad, Bus, oder Auto, schnell und von Ort zu Ort oder Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Und sehenswertes gibt es auf dem kleinen Eiland mehr als genug. Doch zuerst noch ein kleiner Nachtrag zur Wahl des Fortbewegungsmittels. Als Überbleibsel der  Britischen Kolonialzeit herrscht heute immer noch Linksverkehr auf den Inseln und in Kombination mit dem südländischen Fahrtemperament der Einheimischen ist die Wahl eines Mietwagens ein recht gewagtes Abenteuer. Zwar sind die Straßen auf Gozo weit weniger befahren als die Maltas, was aber durch die teils eigenwillige Verkehrsführung und die pittoresken engen Gassen zweifelsohne ausgeglichen wird. Wer sich dann wie ich anfangs denkt: „Miet ich mir halt ein Fahrrad!“ der überlegt sich diesen Entschluss spätesten wenn er im wohlklimatisierten Bus vom Hafen in Mgarr Richtung Hotel, durch die mehr als wellige Insellandschaft, gefahren wird und am Straßenrand schwitzende und schnaufende, ihr Fahrrad den Berg hochschiebende Touristen in der gleißenden Mittagssonne entdeckt. Da fällt einem auch wieder ein, dass man sich kurz vor Afrika, etwa auf der Höhe von Tunis befindet, und demnach die Sonne für überaus hitzige Temperaturen sorgt, die lediglich durch straffen Gegenwind erträglicher werden. Ausgiebige Rad- und Wandertouren sind also in den Sommermonaten nur etwas für ganz hartgesottene. Da Gozo aber damit wirbt, eine grüne Insel zu sein –was ich Anfang September so rein gar nicht bestätigen kann – und auch sonst landschaftlich extrem reizvoll und ursprünglich daher kommt, kann ich mir jedoch gut vorstellen, dass vor allem im Frühjahr Wandern und Radeln eine super Alternative ist, die Insel zu erkunden. Die einfachste Möglichkeit Gozo zu entdecken, sind aber – wer hätte das gedacht – die öffentlichen Busse. Diese fahren ziemlich regelmäßig im Halb- bis Einstundentakt, sogar überwiegend pünktlich, sind klimatisiert und das Tagesticket ist mit 1,50 Euro unverschämt günstig. Der zentrale Busbahnhof befindet sich in der Inselhauptstadt Victoria, von den Einheimischen auch gern Rabbat genannt, und von dort verkehren die Buslinien sternförmig in alle Ecken der Insel. Zwar muss man sich beim Umsteigen durchaus mal mit längeren Wartezeiten abfinden, aber man ist ja schließlich im Urlaub und ganz in der Nähe des Busbahnhofs befinden sich mehrere Bistros, Gelaterias und Cafés um die Wartezeit entspannt zu überbrücken. Sitzt man dann einmal im Bus, ist man letztlich auch recht zügig am Ziel und kann die Sehenswürdigkeiten und kleinen Städtchen erkunden.
Und die Insel hat, trotz ihrer überschaubaren Größe mehr als genug zu bieten, so dass einem auf keinen Fall langweilig werden muss. Absolutes Naturhighlight ist die Dwejra Bucht mit dem spektakulären Felsbogen „Azure Window“, dem alten Wachturm, dem unter Naturschutz stehenden Fungus Rock und dem – durch einen sechzig Meter langen, natürlichen Tunnel mit dem Mittelmeer verbundenen – Inland Sea, der als beliebter Tauchspot gilt. Um diese Bucht herum und auf die Klippen die die Bucht umschließen, führt ein Wanderweg bis in das malerische Dörfchen San Lawrenz und bietet spektakuläre Ausblicke und Fotomotive. Am Rande von San Lawrenz, auf dem Weg nach Gharb, ein ebenso beschauliches wie schönes, ursprüngliches Dorf mit alter Windmühle und Heimatmuseum, befinden sich ein paar Häuser, in denen das traditionelle Handwerk Gozos präsentiert wird. Nur einige hundert Meter weiter Richtung Victoria kann man am Straßenrand die Überreste eines alten Aquädukts bestaunen. Wer von sehr alten Steinen nie genug bekommen kann, kommt um einen Besuch der Ggantija Tempel in Xaghra nicht herum. Diese etwa 5.500 Jahre alte, aus gigantischen Steinen (Megalithen) errichtete Tempelanlage, gilt als eine der wichtigsten Archäologischen Fundstätten der Welt. Zwar deutlich jünger, aber ebenso eine Besichtigung wert ist die alte Befestigungsanlage der Inselhauptstadt, die Zitadelle von Victoria. Diese wird zwar gerade umfangreich restauriert bietet aber, neben einigen Museen und Souvenirläden, vor allem in den frühen Morgenstunden und am späten Nachmittag, wenn nur noch wenige Touristen dort herumturnen, tolle Fotomotive und einen fabelhaften Rundumblick über die gesamte Insel. Ebenfalls sehenswert sind die riesigen Kirchen mit ihren eindrucksvollen Kuppeln und ihrem prächtigen Inneren.
Auch wer jetzt nicht unbedingt auf Kirchen und alte Tempel, sondern eher auf pure Natur steht, kann auf Gozo so einiges entdecken. Mitten in Xaghra zum Beispiel, findet man, versteckt in Privathäusern, zwei kleinere Tropfsteinhöhlen, die man nahezu allein und ungestört erkunden kann. Oder die Höhle der Kalypso im Norden der Insel, in der sich, laut griechischen Mythologie, Odysseus einige Jahre lang versteckt haben soll. Besonders eindrucksvoll sind aber die teilweise bis zu 120 Metern hohen und fast senkrecht ins Meer abfallenden Steilküsten, die man entweder wandernd von oben, oder entspannt auf einem Boot schippernd vom Wasser aus, bestaunen kann. Eine Bootstour rund um die Insel dauert, inklusive einiger Schwimmstopps, etwa einen halben Tag und gewährt tolle Einblicke in die vielen kleinen Höhlen und Buchten, auch in die, in der Angelina und Brad – heißen die jetzt eigentlich beide Pitt? – gerade ihre Flitterwochen verbringen. Ideal ist Gozo aber vor allem zum Tauchen und Schnorcheln. Kristallklares, türkisblaues Wasser, jede Menge bunte, große, kleine, dicke, dünne Fische – bisschen wie im Aquarium – und wie schon erwähnt, zahlreiche Höhlen und unzählige Schiffswracks, die oft gar nicht so sehr tief versunken vor der Küste liegen.
Und was darf in einem gelungenen Urlaub niemals fehlen? Richtig! Gutes Essen. Glücklicher Weise waren es nicht nur die Engländer, die irgendwann im Laufe der Geschichte mal die maltesischen Inseln besetzt hatten, sondern auch die Römer, die Griechen, die Türken, die Italiener, die Araber, die Franzosen, die Spanier und dementsprechend vielseitig ist auch die einheimische Küche. Heißt also, es ist für jeden was dabei. Fangfrischer Fisch, von Lampuki – eine Makrelenart – bis Dorade, gebraten, oder gegrillt, ist dabei auf jeder Speisekarte ganz weit oben zu finden. Wie eigentlich alles, was das Meer so hergibt. Eine weitere gozitanische Spezialität ist Fenkata, in Tomaten, Knoblauch und Rotwein geschmortes Kaninchen. Sehr lecker, es empfiehlt sich jedoch vorher nachzufragen, ob man das Fleisch noch vom Knochen nagen muss. Dazu werden meist Kartoffeln und verschiedenes Gemüse, je nach Jahreszeit, serviert. Ebenso typisch für Gozos Küche ist Gbejna, der einheimische Käse aus Schafs- und Ziegenmilch. Diesen findet man fast immer auf dem Teller, ob zum Brot, zum Salat oder als Füllung der Ravjul – richtig geraten: Ravioli. Dank der Nähe zu Sizilien und Italien findet man auch eine große Auswahl an Pizza und Pasta-Gerichten, wodurch man die von den Briten hinterlassenen Fish-and-Chips-Läden getrost links liegen lassen kann. Lediglich das Englische Frühstück muss man über sich ergehen lassen, da hilft auch der gozitanische Honig nur bedingt. Aber ein kurzer Abstecher in die nächstgelegene Bäckerei entschädigt mit unzähligen süßen Leckereien, wie mit Creme gefüllten Kannoli oder fruchtig-gefüllten Teigtaschen – eindeutig Rezepte der türkischen und arabischen Vorfahren. Auch verdursten muss man zum Glück auf Gozo nicht. Das einheimische Lagerbier Cisk ist ebenso gut trinkbar wie die lokalen, beziehungsweise zum Teil aus italienischen Trauben hergestellten, Weine.
Ein Urlaub auf Gozo ist also, wie der Name, übersetzt aus dem Kastilischen, es schon verrät, in jeder Hinsicht eine wahre „Freude“ und von meiner Seite aus wirklich empfehlenswert. Ich wünsche also gute Reise!