Dienstag, 30. Juni 2015

The Tourists – der Hinflug



Das merkwürdige Verhalten erholungsbedürftiger Großstädter zur Urlaubszeit.

Alles beginnt am Flughafen, wo sich irgendein kluger Kopf von Air Berlin es für eine sensationelle Idee hielt, den Check-In für alle Passagiere am Montagmorgen in einer Reihe auszutesten. Was in der Theorie vielleicht nicht schlecht ist, aber in der Realität dummerweise am begrenzten Platzangebot des Flughafenterminals nach kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt war. Ergebnis des Ganzen: zahlreiche Helferlein in Warnwesten schoben die Menschenschlange in der Halle von rechts nach links und zurück, um im schönen Wechsel, auch nur ansatzweise, Durchgangswege, Fluchtwege und Zugänge zu Toiletten, Cafés, Shops und den Abfluggates frei zu halten, während die zweite Abfertigungshalle mit gähnender Leere und einem Dutzend unbesetzter Schalter vor sich hin döste.

In der Warteschlange um mich herum Schweißausbrüche, Panikattacken und diverseste Flüche. Zugegeben, auch ich empfand die Situation jetzt nicht mega beglückend, aber Berlin und Flughäfen … naja man ist Kummer gewohnt. Als ich dann etwa eine halbe Stunde vor Abflug noch immer ohne Boardingpass, dafür mit Koffer in der Schlange stand, kam plötzlich der Warnwestenträger mit Tablet, von dem ich ein paar Minuten zuvor gefragt wurde, wann mein Flug geht, zu mir und ich durfte mich mit freundlicher Genehmigung vordrängeln. Die mir zufliegenden Hasstiraden quittierte ich mit einem süffisanten Lächeln. Da ich ganz offensichtlich noch nicht der letzte Passagier für meinen Urlaubsflieger war, bekam ich sogar noch einen Fensterplatz und konnte anschließend ohne unnütze Wartezeit schnurstracks durch Security-Check, Duty-Free-Shop bis auf meinen Sitzplatz im Flieger durchlaufen.

Und so ein Urlaubsflieger mit deutschen Touristen auf den Weg zum Strandurlaub ist … nennen wir es eindrucksvoll! Während die Dame neben mir eine Parfümwolke aus Brennspiritus, Weihnachtsduftkerze und Wunderbäumchen umgab und ich ehrlich froh war, dass an Board keine Feuerzeuge mehr erlaubt sind, hatte der Herr vor mir offensichtlich Maggi No. 5 aufgetragen um den zu befürchtenden Flugangstschweißgeruch zu überdecken. Ein eher entspannter Flieger schien hinter mir zu sitzen, denn noch während sich Kapitän Michael Schlotterbeck meldete, entledigte er sich seines Schuhwerks und untermalte das ohnehin schon brisante Gasgemisch mit einer feinen Limburger Note. Eigentlich der perfekte Moment für einen Praxistest der Sauerstoffmasken.
Als das Flugsicherheitsinformationsvideo abgespielt ist. Macht der Ober-Flugbegleiter seinen letzten Kontrollgang und muss, wie jedes Mal, warum auch immer, einige erneut darauf hinweisen, den Tisch hochzuklappen, die Rückenlehne gerade zu stellen und die Jalousie vom Fenster wieder zu öffnen, damit der Pilot beim Starten auch nach hinten rausschauen kann. 

Kaum ist der Flieger in der Luft springen die ersten auf und rennen auf die Toiletten. Parallel dazu werden Getränke und ein Snack vom Flugbegleitpersonal gereicht. Ich hatte noch, da ich in der drittletzten Reihe saß, die sensationelle Auswahl zwischen einer wabbeligen Laugenstange oder einem quietschsüßen Rosinenbrötchen ähnlicher Konsistenz. Ich bestellte zwei Getränke und entschied mich für die Laugenstange, die beim Verzehr im Mund mall locker zu zwei Laugenstangen wurde, mich aber so zumindest die erste Hälfte des Fluges gut beschäftigte. Der Rest war Lesen und Musik hören, doch während andere im Flugzeug ihren Sitznachbarn – und da diese offensichtlich immer schwerhörig sind, eigentlich dem halben Flugzeug – ihre gesamte Lebensgeschichte erzählen, sind Flugzeuge für mich eher so etwas wie Aufzüge: Da muss sich nicht unterhalten werden. Zum Glück hat das die Duftwolke, die dann unerwarteter Weise tatsächlich im selben Hotel urlaubte, ebenso gesehen und so lautete das vollständige Gesprächsprotokoll des knapp dreistündigen Flugs: „Hallo. Der Platz am Fenster ist meiner. – Schönen Urlaub!“

Am eindrucksvollsten sind aber immer noch die Szenen kurz nach der Landung. Nachdem der Pilot endlich die richtige Urlaubsinsel gefunden hatte – er hatte vermutlich die Cockpitfenster verschlossen, was auch seinen Wetterbericht (23°C und Gewitter erklärt) –, das Flugzeug geradeso mit den Hinterrädern die Landebahn berührt hatte und die Durchsage „bitte, noch sitzenbleiben“ ertönte, klickten die ersten Sicherheitsgurte und die ersten Ungeduldigen sprangen auf. Und ja, es gibt sie noch, die Landungsklatscher. Das würde ich mir übrigens auch mal wünschen, dass wenn ich meinen Job erledigt hab, alle Kunden in mein Büro kommen und applaudieren …
In der Sekunde, als das Flugzeug dann tatsächlich seine endgültige Parkposition erreicht hat, drängeln sich 90 Prozent der Passagiere in Richtung der Türen. Allen voran, eine Frau größeren Gewichts, deren Hauptproblem nun ist, ob auch am hinteren Ausgang die Airline-Schoko-Herzen verteilt werden und ob sie nicht gleich für ihre gesamte Sitzreihe die Süßigkeiten mitnehmen solle. Glücklicher Weise, gibt es auch hinten die roten Treueherzen, bei 26°C Außentemperatur und strahlend blauem Himmel, und sie muss nicht einmal komplett durch das ganze Flugzeug nach vorn stürmen um den schokoladenen Meilenbonus abzugreifen. Nachdem alle gehetzten im Flughafenbus auf mich und das Personal gewartet haben, geht’s zum Terminal, wo erneut die Hektiker zum Kofferband vorpreschen, um den besten Platz am selbigen, natürlich noch stillstehenden, zu ergattern.

Demnächst dann: Weiße Socken in Sandalen! Woran erkennt man den deutschen Touri? Und die Zerstörung des Urlaubseffekts in drei Schritten!