Ehrlich gesagt, ich bin langsam überfordert. Wem oder auf
was kann man heute eigentlich noch trauen, außer dem eigenen Gewissen? Doch
selbst das fällt immer schwerer. Sobald
man glaubt, seine eigene Meinung, Lösung oder Antwort gefunden zu haben, wird
man von allen Seiten mit anderen Wahrheiten bespuckt. Sei es das widerliche Propagandageschwätz
einiger geistiger Tiefflieger, die von den Medien dahingerotzte, immer nach der
reißerischsten Schlagzeile und größeren Gefällt-mir-Klicks-Anzahl lechzende,
denkfrei vorgefertigte Meinung oder auch nur die belehrend-klugscheißerische
ich-muss-überall-meinen-Senf-dazugeben Allwissenheit von Social-Media-Geistern.
Von wegen „Bild dir deine Meinung“ …
friss meine Weisheit oder stirb! scheint das gültige Motto zu lauten.
Am leichtesten ist dabei definitiv der Umgang mit den
Überzeugungen der Schwachmaten – egal ob Nazi oder religiöser Fanatiker. Deren
Gedankengänge kann und werde und will ich im Grunde auch gar nicht verstehen,
auch wenn die Fragen nach dem Warum? und Wieso? immer wieder auftauchen werden.
Wer derart menschenverachtend „denkt“ und handelt, dem ist sowieso nicht zu
helfen.
Weitaus beängstigender ist für mich das, was die
Massenmedien so treiben. Da wird im Sekundentakt auf Basis von Vermutungen
Stimmung gemacht, ohne auch nur einen Augenblick über die Tragweite des Gesagt-
oder Geschriebenen nachzudenken. Oder eben vielleicht doch (?) nur eben nicht
im Sinne der Vernunft, sondern im Sensationswahn – Lauter, Schneller, Härter – ohne
Rücksicht auf Verluste.
„Es gibt keinen Unsinn, den man der Masse nicht durch
geschickte Propaganda mundgerecht machen könnte.“
(Bertrand Russell)
Mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs werden
vage Vorahnungen als Fakten über den Liveticker gejagt und die Themen, unter
dem Deckmantel der journalistischen Informationspflicht, bis in die letzte Ecke
ausgehöhlt. Dinge, bei denen man sich fragt: Ist das wirklich wichtig? Will ich
das Wissen? Was soll ich mit dieser Information anfangen? Sind wir Menschen
wirklich so sensationsgeil, dass wir uns an verwackelten Handybildern vom
Tatort, herumliegenden Opfern, verstörten Augenzeugen, zutiefst traurigen
Angehörigen oder unter extremsten Bedingungen arbeitenden Sicherheits- und
Rettungskräften ergötzen müssen?
Die Medien lassen uns heute keine Zeit mehr zum
Nachdenken, zum Luftholen, zum Begreifen. Ob sekündliche Sondersendungen auf
allen Kanälen, Breaking News, Liveticker, Facebook-Posts, Tweets und Hashtags –
Sozial-ADHS. Und dann kommt da so ein Fernsehkasper und stellt einfach mal so
100 offene Fragen in den Raum, teils hilflos, teils zynisch, teils einfach nur
erschütternd ehrlich und irgend so einem Klatschpappen-Redakteur fällt nichts
Besseres ein, als diese Fragen krampfhaft kläglich, mit Dampfhammer Witz, bei
dem selbst Mario Barth als Humorfeingeist wirkt, dafür aber ohne jegliches
Taktgefühl und Nachdenken in seine Tastatur zu kloppen und in DIE WELT hinauszuschießen.
Und dann dieses heuchlerische Mitgefühl, plötzlich sind
wir alle Charlie oder Paris, denn es sind ja „Auch Deutsche unter den Opfern“.
Dann haben wir gefälligst auch alle betroffen zu sein. Wenn sich aber in Afrika
die Neger untereinander niedermetzeln oder sich die Alis in der arabischen Welt
gegenseitig in die Luft sprengen (an dieser Stelle entschuldige ich mich für
meinen Zynismus und die bewusst provokante Wortwahl), dann ist das in den News
von heute vielleicht noch eine Kurzmeldung wert, morgen aber schon wieder
verdrängt. Einhundert sinnlose Opfer bleiben einhundert sinnlose Opfer, egal wo
auf dieser Welt. Auch wenn es nicht einfach ist, wir dürfen uns nicht von
dieser einseitigen Berichterstattung – oder soll ich besser medialen Propaganda
sagen – vereinnahmen lassen und blind und unreflektiert irgendetwas
nachplappern, nur weil es in irgendeiner Zeitung steht oder von einem C-Promi
getwittert wurde. Denn „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung […]“ (Artikel 19, UN-Menschenrechtscharta). Das bedeutet aber auch, dass jeder frei rausposaunen kann, was er will und sei es
der größte Unfug.
Darüber hinaus heißt das aber auch, dass jeder das Recht
hat, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese kundtun darf, aber – jetzt kommt`s
– nicht zwangsläufig auch kundtun muss. Und Meinung heißt nicht gleichzeitig auch
Wahrheit!
Wenn jetzt also jemand auf Facebook seine Gedanken und
nicht nur ein ganz „zufällig“, unter Zuhilfenahme eines extra dafür
produzierten Stabes, geknipstes Selfie, postet, dann kannst du dem zustimmen
oder auch nicht. Dann kannst du sogar noch schreiben, dass du das ganz anders
siehst. Aber in den meisten Fällen (diese Einschränkung muss man leider machen)
musst du dich weder direkt persönlich angegriffen fühlen, dich als allwissender
Klugscheißer gebären, geschweige denn rumpöbeln, was das Zeug hält. Ja, es ist
nicht ganz leicht irgendwo in den „sozialen Medien“ etwas von sich zu geben,
ohne dass sich davon jemand gleich auf den Schlips getreten fühlt und der Grat zwischen "Das wird man wohl noch sagen dürfen" und "was gesagt werden muss" wird zusehends schmaler. Was dagegen
hilft? „Erst denken, dann schreiben!“ (hat mir meine Mutter beigebracht) und am
besten noch einmal tief durchatmen oder im Zweifel „einfach mal die Fresse
halten“.
„Da wir uns miteinander nur durch das Wort zu
verständigen vermögen, verrät, wer es fälscht, die menschliche Gemeinschaft. Es
ist das einzige Mittel, durch das wir unseren Willen und unsere Gedanken
austauschen, es ist der Mittler unserer Seele. Wenn wir es verlieren, so haben
wir keinen Zusammenhang und keine Kenntnis mehr voneinander. Wenn es uns
betrügt, so zerstört es allen unseren Umgang und zerreißt alle Bande unserer
Gesellschaft.“ (Michel de Montaigne)
PS: Hier hätte fast noch ein Absatz gestanden, in dem es
um die „Meinungsäußerungen“ einiger Politiker u. ä. gegangen wäre. Ich habe
mich aber dazu entschieden, mich in diesem Blog generell nicht direkt politisch
zu äußern. Bin mir aber sicher, meine Haltung zu bestimmten Themen ist trotz
allem deutlich genug zu erkennen.