Dienstag, 15. März 2016

Jenga und die verheerenden Folgen

Ab und zu, heißt es, soll man auch mal verrückte Dinge tun, aber verdammt nochmal man muss es doch nicht gleich übertreiben. Was habe ich mich immer über die ganzen Bekloppten aufgeregt, die einmal in ihrem Leben einen Marathon laufen wollen … und wie wenig Mitleid hatte ich mit den erbärmlichen Kreaturen, die sich in den letzten Jahren bei Kilometer 23 vor meiner Haustür entlang geschleift haben. Zweiundvierzigkommaeinsneunfünf Kilometer, so bescheuert müsste ich mal sein!!! Okay, ich hab‘ auch mal darüber nachgedacht, aber nur kurz, sehr kurz. Dann erinnerte ich mich an den letzten 5-km-Crosslauf und die 2 Tage voller Schmerzen danach. Schon bei dem Gedanken daran durchschießt noch heute ein übler Phantomschmerz meine Knie. Und für den nächsten Firmenlauf suche ich auch schon fleißig Ausreden und Ersatzläufer (Freiwillige vor!).
Allerdings, und das will ich gar nicht abstreiten, habe ich in den letzten Jahren immer mal wieder gefallen am Wandern gefunden. Ich bin durch den Himalaya gestiefelt, habe längere Touren auf Gozo, Teneriffa und den Lofoten gemacht und bin durch die Alpen gekraxelt. Und immer, wenn ich mal wieder fasziniert von tollen Landschaften und ungewohnt viel Sauerstoff im Gehirn etwas zu sehr euphorisiert war, schwirrte in meinem Kopf der Gedanke: Man müsste einfach mal loslaufen und schauen wie weit man kommt. Glücklicher Weise war exakt dieser Gedanke über die Jahre hinweg so tief in meinem internen Speicher verschwunden, dass ich mir sicher war, dass diese Spinnerei für immer gut dort versteckt bleiben wird.
Vor einiger Zeit dann, tauchte plötzlich in meiner Facebook-Timeline ein Event mit dem schönen Namen „Mammutmarsch“ auf und lockte den besagten Gedanken wieder einmal kurz an die Oberfläche. Ich las mir die Veranstaltungsbeschreibung durch, lachte kurz auf und stopfte die Idee wieder genau dahin, wo sie hergekommen war. Blöder Weise muss ich, beim Anklicken des Beitrags in diesem vermaledeiten sozialen Netzwerk, ganz unglücklich mit meinen Storchenfingern auf der Maus abgerutscht sein und dabei den „Daumen-hoch“-Button berührt haben. Dies sollte nicht unentdeckt bleiben und bösartige Konsequenzen nach sich ziehen.
Einige Wochen vergingen und es schien bereits Gras über die Sache zu wachsen, als ich auf einer Party, völlig unerwartet darauf angesprochen wurde. „Ob ich da denn mitmachen wöllte?“, wurde ich gefragt … ich lächelte milde, nahm einen kräftigen Schluck aus meiner Bierflasche, in der Hoffnung, danach schnell das Thema wechseln zu können. Was mir wohl auch gelungen ist. Jedoch sollte der Erfolg nur von kurzer Dauer sein.
Die Party schritt voran und die ersten Kicker-Figuren brachen vor lauter Erschöpfung zusammen. Alle immer noch feierwütigen Gäste stärkten sich in der Küche bei einem nachmitternächtlichen Snack, als ein Unbekannter (keine Namen! Ich kann mich auch wirklich nicht mehr an alle Details erinnern und würde im Zweifelsfall sowieso jegliche Beteiligung oder gar Schuld leugnen) den Vorschlag unterbreitete, den Jenga-Turm auszupacken und das Spiel im Fortgeschrittenen-Modus – Motto „Bei Einsturz Schnaps“ – zu spielen. Unter Berücksichtigung der äußeren Umstände – fortgeschrittene Uhrzeit, diffuses Licht, teppichweicher Untergrund – stapelte wir die Bauklötze doch noch recht eindrucksvoll und nur hin und wieder musste tatsächlich ein Kurzer getrunken werden. 
Irgendwann, in einer Phase zwischen höchster Konzentration und, wie böse Zungen behaupten, kurz vorm Verlust der Muttersprache, scheine ich einen kleinen Moment der Leichtsinnigkeit gehabt zu haben. Und dieser wurde eiskalt und schamlos ausgenutzt. Mit einem heimtückischen Lächeln auf dem Gesicht wurde mir, da der Turm nun deutlich öfter und hauptsächlich von den anderen Mitspielern eingerissen wurde, ein Überbrückungsvodka angeboten und erneut die Frage gestellt, ob ich nicht vielleicht mit am Mammutmarsch teilnehmen würde…
Was soll ich sagen, ich war wohl doch nicht mehr einhundertprozentig zurechnungsfähig und um ehrlich zu sein, konnte ich mich am nächsten Tag auch nicht mehr wirklich daran erinnern. Dummerweise gab es relativ belastende Zeugenaussagen und eine konkrete Nachfrage am Tag. Es blieben mir also nur zwei Möglichkeiten: Entweder den Schwanz einziehen und ewig mit der Schmach zu leben, oder die Suppe auszulöffeln und die Anmeldung zum Mammutmarsch auszufüllen und abzuschicken.
Jetzt gibt es definitiv kein Zurück mehr und Mitte Mai heißt es nun einhundert Kilometer in vierundzwanzig Stunden – Heidewitzka! Richtig gelesen, 100 km (!) in 24 Stunden (!) zu Fuß!!! Verrückt, um nicht zu sagen dezent bekloppt. Aber egal, warum nicht mal wieder die eigenen Grenzen ausloten. Das Ziel heißt überleben.
Ich werde berichten, von den Vorbereitungen, den Trainingseinheiten und den Schmerzen.
PS: Notiz an mein Zukunfts-Ich: SPIEL NIE WIEDER JENGA!