Montag, 16. Mai 2016

Bis nichts mehr geht

Samstag. 14. Mai. Es ist soweit. Mammutmarsch! Die Herausforderung: 100 Kilometer in 24 Stunden zu Fuß. Und so ist es mir dabei ergangen …
Es ist gegen 9 Uhr als ich aufwache. Gedanklich schwanke ich direkt zwischen „Es-geht-endlich-los-Vorfreude“ und „ich-bin-doch-bekloppt-Zweifel“. Aber die Sonne scheint, das Wetter passt und nach einer heißen Dusche und einer Schüssel Müsli (okay, es waren Schokocornflakes und eine Banane) steigt die Neugier auf die bevorstehende Challenge. Leider wurde unsere dreier Wandergruppe schon vor dem Start verletzungsbedingt leicht reduziert. Aber kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Nach dem kleinen Frühstück ziehe ich mir meine Laufschuhe an und jogge zum nächsten Bäcker um noch ein paar frische Brötchen für die Marschverpflegung zu besorgen. Meinen Rucksack hatte ich am Vorabend bereits gepackt und so fehlten nur noch ein paar Snacks und eine Thermoskanne voll Tee, die, wie sich noch zeigen wird, das wichtigste Teil im Marschgepäck werden sollte.
Bevor es gegen 14 Uhr mit der Bahn Richtung Startpunkt in Erkner im Südosten Berlins losgehen sollte, gab es mittags noch eine ordentliche Portion Spaghetti Bolognese, um genug Energie für den Mammutmarsch zu haben. Am dortigen Sportplatz angekommen, holten wir uns unsere gelben Bändchen und warteten genüsslich in der Sonne auf unseren Startschuss um 16.30 Uhr. Pünktlich ging es für die etwa 250 Läufer der vierten Startgruppe los. Mit sehr verhaltenem Tempo. Denn es dauerte eine Weile, bis sich die über 200 Starter auf recht engen Wegen sortiert hatten und wir zwei unseren Platz und unser Tempo finden konnten. Von Erkner aus ging es zuerst Richtung Müggelsee, den wir, bis zum ersten geplanten Verpflegungsposten bei Kilometer 16, etwa zu zwei Drittel umrunden mussten. Eine wirklich wunderschöne Strecke, durch den Wald, auf befestigten Wanderwegen, immer am Wasser entlang und bei schon fast sommerlichem Wetter. Nach knapp drei Stunden erreichten wir den ersten Versorgungspunkt am Strandbad Müggelsee. Dort legten wir eine erste, etwas längere Pause ein, aßen Bananen, Müsliriegel, Milchbrötchen und füllten unsere Wasserflaschen wieder auf. Dummerweise ging es meiner Laufpartnerin an diesem Tag von Anfang an ziemlich dreckig. Immer wieder mussten wir kleinere Päuschen einlegen und konnten das anvisierte Tempo nie wirklich erreichen. Trotz allem haben wir versucht, Laune und Motivation ziemlich hoch zu halten, doch das Thema „Ausstieg“ schwebte natürlich die ganze Zeit in unseren Köpfen. Die nächsten Kilometer verlief die Strecke dann parallel zur S-Bahn. Wir nahmen auf dem sandigen Waldweg noch einmal ordentlich Fahrt auf und überholten einige der vor uns Gestarteten. Je näher wir dem nächsten Bahnhof kamen, desto bewusster wurde uns beiden, auch ohne viele Worte, dass dort für mindestens einen von uns, der Mammutmarsch beendet sein wird. Alles andere wäre leichtsinnig, ja fahrlässig gewesen. Ich überlegt kurz, ebenfalls aufzuhören. Da ich mich aber nach ziemlich genau fünf Stunden und knapp 25 Kilometern noch so fit fühlte, war das dann doch keine wirkliche Option. Also entschloss ich mich, von nun an alleine weiterzulaufen. Noch eine kurze Verabschiedungs- und Trinkpause und weiter ging es in die Nacht.
Vor der Nacht hatte ich im Vorhinein den größten Respekt. Wie würde es sein im Dunkeln durch den Wald? Über Stock und Stein. Unbekanntes Gelände. Wann kommt die Müdigkeit? Wann die Erschöpfung? 
Ich kramte die Stirnlampe aus meinem Rucksack, um sie bei Bedarf griffbereit zu haben und marschierte weiter. Und es lief ganz gut los. Ich fand schnell mein eigenes Tempo, überholte weitere Läufer und da die Straßen und Wege überwiegend beleuchtet waren, machte die Dunkelheit auch keine Probleme. Ich lief und lief und lief. Beim Überholen immer mal ein schnelles Wort gewechselt und ab und an eine kurze WhatsApp-Nachricht ausgetauscht. Meine Moral war wieder voll da. Bis kurz vor Km 30, als sich so langsam die ersten Schmerzen breit machten. Kurze Pause. Etwas Energie nachfüllen. Weiter, immer weiter. Die Nacht war nahezu sternenklar. Vorteil. Es regnete nicht. Nachteil: es wurde ziemlich kalt. Dazu ein frischer Wind, wodurch schon kurze Pausen recht unangenehm wurden. An der Rennbahn Hoppegarten kamen dann die Wechselklamotten zum Einsatz. Ein langärmliges, trockenes Oberteil und zusätzlich zu T-Shirt und Softshell-Jacke die Windjacke oben drüber. Außerdem gönnte ich mir eine erste Tasse Tee und einen Energieriegel ("Mhh, lecker, Saitenbacher").
Aber ich merkte schon, dass mein rechtes Bein dieses Mal meine Schwachstelle bildet. Denn wie bereits beim letzten Trainingsmarsch muckerte die Schienbeinmuskulatur erheblich rum. Nur diesmal halt das andere Bein. Jetzt begann also der Kampf - Kopf gegen Körper.
Zum Glück war es nicht mehr weit bis zur S-Bahn-Station Hoppegarten. Ich fand plötzlich die Gruppe um Hund Titus wieder. Die waren mit mir gemeinsam gestartet und Titus schlich uns am Anfang mehrfach um die Beine. Die Stimmung in der Gruppe war gut und ich hatte genug Ablenkung von meinen Schmerzen, dass ich den Abzweig zur Bahn ignorierte und es auf jeden Fall bis zur nächsten Station in Neuenhagen packen wollte.
An die Schmerzen hatte ich mich nun schon etwas gewöhnt. Ich lief weiter in der Masse mit und konnte beobachten, wie in Neuenhagen immer wieder Läufer in ihre Häuser abbogen und den Mammutmarsch beendeten. Unerwartet schnell erreichte ich die nächste S-Bahnstation und entschied mich, wie einige andere auch, zu einer längeren Pause auf der großen Treppe. Essen. Trinken. Schienbein massieren. Ich hatte nun ziemlich genau 7 Stunden immer wieder einen Fuß vor den anderen gesetzt und war, nach absolvierten 35 Kilometern, immer noch im 5 km/h Schnitt.
Dennoch weiß ich nicht, ob ich, wenn mir die S-Bahn hier nicht gerade direkt vor der Nase weggefahren wäre, hier nach etwas mehr als einem Drittel nicht schon aufgegeben hätte.
Gegen Mitternacht war mein Ehrgeiz wieder voll da und ich lief weiter. Nächstes Ziel der zweite Versorgungsposten bei km 44.
Nach einer kurzen Einlauf-Phase lief es dann doch wieder recht gut. Inzwischen war das Läuferfeld deutlich ausgedünnt und die Abstände zwischen den Stirnlampen wurden größer. Mit unterqueren des Autobahnrings verlies ich nun endgültig Berlin und lief stoisch vor mich hin. Keine Ahnung ob es die Müdigkeit war, ob ich nur in den Stand-by-Modus gewechselt hatte, oder ob ich einfach keine Kapazität mehr hatte um über die Schmerzen nachzudenken, aber ich kam mit nur einer kurzen Trinkpause bis zu km 40.
Es wurde nach einem langen Stück über Feld- und Waldwege wieder etwas urbaner und plötzlich waren auch wieder mehr Wanderer um mich herum. Von hinter kam ein zweier Team die sich lauthals gegenseitig motivierten „So schlimm sind die Schmerzen gar nicht. Sind ja keine Wehen (sie) oder eine Harnröhrenspaltung (er)“. Wir plauderten dann eine ganze Weile über das bisher erlebte und ich ließ mich ein ordentliches Stück Strecke mitziehen. Vor allem nachts hat das Laufen in der Gruppe seine Vorteile. Man hat Ablenkung, muss sich nicht so sehr mit sich selbst beschäftigen und man pusht sich auch ganz unbewusst gegenseitig.
Beim Überqueren einer größeren Straße trafen wir auf zwei Streckenposten, die uns versuchten zu motivieren und meinten: „nur noch drei Kilometer“ bis zur Verpflegungsstation. Ich mach es kurz: es waren sehr lange drei Kilometer. Dennoch großen Dank an all die Helfer unterwegs!
Ich konnte irgendwann das Tempo der beiden nicht mehr halten und ließ sie davonziehen. Aber nur kurze Zeit später überholte mich ein weiterer inzwischen „Allein-Läufer“ (er hatte seine Teamgefährtinnen abgehängt) und wir erreichten gemeinsam den Streckenposten in Bruchmühle. Später sollten wir uns auf dem Rückweg in der S-Bahn noch einmal wiedersehen. Gegen halb drei hatte ich also 44 Kilometer absolviert. Zehn Stunden! Und ich war körperlich schon ziemlich im Eimer, die Füße taten weh, das Schienbein sowieso, Rücken und Knie schmerzten inzwischen auch und es war arschkalt. Vielleicht noch so 5 bis 6 °C. Aber der Kopf spielte noch ganz gut mit.
Ich setzte mich zu den beiden von unterwegs, die hier den Rest ihrer fünfer Gruppe wieder gefunden hatten. Wir stellten fest, dass es hier in Bruchmühle klang wie in einem Feldlazarett nach einer sehr verheerenden Schlacht. Lautes Ächzen und Stöhnen, Menschen gehüllt in gold- und silberfarbene Rettungsfolien, Füße die bereits großflächig abgeklebt wurden. Ich gönnte mir einen Energieriegel und spendierte eine Runde heißen Tee. Im Gegenzug wurde mir für Kilometer 74 ein Bier in Aussicht gestellt. Anschließend versuchte ich mich noch an einer der Feuerstellen wieder aufzuwärmen, während neben mir eifrig darüber debattiert wurde, wo man sich denn nun am besten abholen lässt.
Ich kämpfte mit mir. Hier aufhören und mich mit dem Shuttlebus zum nächsten Bahnhof fahren lassen? Oder bis km 50 selbst weiterlaufen? Und dann wäre es von dort auch nicht mehr sehr weit bis zur nächsten Ausstiegsstelle. Ich war hin und her gerissen. Kämpfen oder aufgeben?
Ich stand auf und hatte mich fürs Aufgeben entschieden. Fragte einen der Helfer, wann der nächste Bus fährt. Mit einem verschmitzten Lächeln meinte er „wenn er wieder da ist“. Ich setzte mich in einen der heillos überfüllten Aufenthaltsräume. Überall saßen und lagen Läufer rum. Teilweise sehr schwer gezeichnet. Füße wurden verarztet, Blutdruck gemessen. Aber es gab Kaffee, Tee und Würstchen. Ich goss mir einen kleinen Becher voll Tee ein um meinen Akku weiter aufzuladen. Die Wärme und das Licht waren die blanke Genugtuung. Das hektische Treiben um mich herum störte mich nicht. Ich frug eine der Helferin, ob ich etwas heißes Wasser bekommen könnte, um meine Thermoskanne wieder aufzufüllen. Sie stimmte dankenswerter Weise zu, holte frisches Wasser und stellte den Wasserkocher an. Ich füllte meinen Teetank wieder auf, hinterließ eine kleine Spende, raffte mich auf und nahm nach etwa einer Stunde Pause dann doch das nächste Etappenziel in Angriff.
Beim Verlassen des Versorgungspunktes gegen halb vier, kamen mir dann gleich mehrere Rettungswagen entgegen. Aber ich humpelte weiter. Nach ein paar Schritten hatte ich mich wieder eingelaufen und mir wurde direkt wieder warm. Es ging jetzt für die nächsten fünf Kilometer fast nur geradeaus durch den stockfinsteren dichten Wald. Nur ab und zu traf ich noch auf andere Wanderer. Eine größere Gruppe überholte mich noch frohen Mutes, wir unterhielten uns noch ein wenig, ich versuchte mich ihnen anzuschließen, aber meine Beine hatten etwas dagegen. Der Punkt war erreicht, an dem mein Körper mich nur noch hasste. Plötzlich hatte ich in einer Abbiegung die Gruppe von eben wieder eingeholt. Im Vorbeigehen sah ich, wie ein Fuß verarztet wurde. Ihr Optimismus von vor wenigen Minuten war dahin. Offene Blasen an den Füßen sind das sichere Ende jeder Wanderung. Es brennt, es scheuert, es reibt, es drückt bei jedem Schritt. Du kannst nicht mehr richtig auftreten und zack hast du noch mehr Blasen und Muskelschmerzen und Krämpfe von den Meidbewegungen.
Angeblich waren es nur 6 Kilometer bis nach Strausberg. Aber die zogen sich wie Kaugummi. Doch noch immer war ich optimistisch, auch den dritten Verpflegungspunkt nach 59 Kilometern erreichen zu können. Mir war klar, dort ist dann definitiv Schluss für mich. Ich rechnete schon nur noch mit einem Schnitt von 3 km/h inklusive der notwendigen Pausen. Aber der Glaube es bis dorthin zu schaffen war ungebrochen. Der Kopf spielte also weiterhin mit und als sich der Wald etwas lichtete, hatte ich auch das Gefühl, dass es bereits wieder etwas heller wird. Auf die Uhr habe ich nicht mehr geschaut.
Als ich dann endlich wieder aus dem Wald raus war und nach Eggersdorf kam, konnte ich die Stirnlampe endgültig wieder in die Tasche packen. Der morgen brach an. Die Nacht war geschafft. Wahnsinn. Ich suchte mir einen windgeschützten Hauseingang für ein kleines Frühstück: Energieriegel und eine Tasse Tee. Bei der zweiten Tasse kamen, wie aus heiterem Himmel, mit einem Mal gleich mehrere kleinere Grüppchen an mir vorbei. Ich rappelte mich wieder auf und versuchte zu folgen. Aber mein Motor wollte nicht mehr so richtig anspringen. Die Schmerzen in den Füßen, Beinen, Gelenken und Rücken waren inzwischen so permanent, dass mir der Spaß am Weiterlaufen verging.
Ich versuchte mich für jeden Schritt neu zu motivieren, mich zu quälen, doch es half nichts mehr. Ich wurde so langsam, dass ich bald niemanden mehr sah, weder vor, noch hinter mir. Mehrere hundert Meter weit. Zu allem Überfluss fing es nun auch noch an zu regnen. Was lange angedroht war, traf nun doch noch ein. Scheiße! Mein Kampfgeist war gebrochen und die Tatsache, dass km 50 und somit mein Minimalziel erreicht war, entzogen mir das letzte Fünkchen Motivation. Auf der rechten Seite tauchte also mein persönliches Mammutmarschziel auf. Der Bahnhof von Strausberg. Nach genau der Hälfte der Strecke. Gegen 5 Uhr morgens. Ein letztes Foto und Schluss.
Am Bahnhof angekommen, kommt einer der Streckenposten auf mich zu und verkündet mir, dass der Mammutmarsch abgebrochen werden muss. Ich nehme es in diesem Moment recht gleichgültig zur Kenntnis. Ich frage nicht einmal mehr nach und gehe zum Bahnsteig. In dem Moment fährt der Zug ein … ein kurzer Schlussspurt im Laufschritt ist noch drin. Hauptsache nicht eine Stunde auf die nächste Bahn warten müssen. Nur noch möglichst schnell nach Hause. So geht es wohl den Meisten im Zug. Alle erschöpft, müde, kaputt. Ich schicke meiner Startbegleitung eine Nachricht. Die Tatsache, dass ich mir nur noch gequält hätte, quittiert sie treffend mit: „Das war ja Sinn und Zweck der Sache“. Ich bestehe jetzt zu 2% aus Enttäuschung, 3% Stolz und 95% Schmerzen. Wieder in Berlin angekommen bin ich dann schon nur noch eine leere Hülle … mit Schmerzen. Für den Weg von der S-Bahn zu mir benötige ich das dreifache der üblichen Zeit. Die Damen und Herren aus dem Seniorenheim schauen mich mitleidig an. Noch vier Etagen Treppen steigen, ein kleines Frühstück, ein heißes Bad und ab in Bett.
Jetzt, gut vierzig Stunden später „geht“ es mir, bis auf das rechte Schienbein, schon wieder ganz passabel und ich bin stolz auf mich, die zurückgelegte Strecke und wie lange ich gegen meinen inneren Schweinehund angekämpft habe. Viel ist tatsächlich nur reine Kopfsache. Aber wie ich lernen musste eben nicht nur. Wenn der Körper streikt, ist irgendwann finito. Wenn der Punkt gekommen ist, wo nichts mehr geht, muss der Kopf immer noch stark genug sein um der Vernunft Raum zu geben und aufrecht die Herausforderung beenden zu können. Denn diese Unvernunft einiger Teilnehmer hat schließlich zum Abbruch des Mammutmarschs geführt. Die Rettungskräfte waren am Streckenposten km 44 derart überlastet, dass die Sicherheit der Läufer im weiteren Verlauf nicht mehr gewährleistet werden konnte. Einige verrückte sind dennoch bis zum Ziel weitergelaufen. Respekt!
Für mich wäre es, auch unter perfekten Umständen, nicht ansatzweise möglich gewesen. An einem guten Tag hätte ich zwar die 59 Kilometer auf jeden Fall noch geschafft, aber ob ich, mit dem bisschen Training, noch weiter gekommen wäre? Ich fürchte nicht. Es war auf jeden Fall eine krasse Erfahrung für mich. Ich konnte meine – im wahrsten Sinne des Wortes – Schmerzgrenze austesten, bin insgesamt 13 Stunden am Stück gelaufen, habe die Nacht überstanden, 50 km zurückgelegt und danach noch aufrecht die Treppen bis in die vierte Etage gestiegen.
Ob ich mir das im nächsten Jahr noch einmal antue? Für diese Frage ist es noch deutlich zu früh. Denn: Ich habe jetzt eine ungefähre Ahnung davon, warum die Mammuts ausgestorben sind!

Donnerstag, 12. Mai 2016

Abmarsch – Es gibt kein zurück

Genau zwei Tagen noch, dann ist es soweit. Und ich meine nicht den Geburtstag von meinem Opa und auch nicht den Eurovision Songcontest. Wobei mir inzwischen beides fast lieber wäre. Aber nein. Am Samstag startet der Mammutmarsch. Und für alle die es noch nicht wissen oder es schon wieder verdrängt haben, das bedeutet 100 km in 24 Stunden laufen (also gehen/wandern/marschieren).

Alle, denen ich von dieser Herausforderung erzählt habe, haben mich ja in den letzten Tagen und Wochen – vermutlich zu Recht – für bekloppt erklärt. Ist mir inzwischen auch klar. Nützt aber nix, am Samstag geht’s los. Und ich bin top vorbereitet. Habe mir extra neue Schuhe gekauft und diese auch erfolgreich eingelaufen. Dennoch werde ich mich für die alt bewährten leichten Trekkingschuhe entscheiden. Die sind schon über Gletscher und Vulkane, über Stock und Stein und durch Flüsse, Wiesen und den Himalaya mit mir darin gelaufen. Das sollte für Brandenburg eigentlich auch reichen. Diese neuen bunten Hightech-Schuhe sind einfach überbewertet. Aber immerhin konnte ich zweieinhalb Stunden lang mal alle möglichen und unmöglichen Schuhtypen im Outdoorladen durchprobieren. Hat sich ja gelohnt. Weitere Bestandteil der Vorbereitung: zwei Testwanderungen. Die erste mit knapp über 30 km verlief super. Am nächsten Tag keine Blasen oder großartig Muskelkater. Und die Strecke entlang des nördlichen Berliner Mauerwegs war auch wirklich schön. Die zweite Tour … naja … tolle Strecke durch den Grunewald, vorbei am Wannsee und am Ende entlang des Teltowkanal. Super Wetter und insgesamt 45 km. Aber meine Verfassung an dem Tag war nicht so toll. Die letzten zehn Kilometer habe ich mich mit einer Muskelverhärtung im linken Schienbein und dem Verdacht auf eine riesige Blase bis zum Ziel gequält. Über die Tatsache, dass ich unerwarteter Weise doch ohne Blase davongekommen bin, konnte ich mich nur kurz freuen. Die Muskelverhärtung war hartnäckiger als gedacht und ich konnte drei Tage gar nicht laufen. (Hier jetzt bitte ganz mitleidig schauen!) Hab mich deswegen vorab auf Arbeit schon vorsichtshalber für vier Tage krankgemeldet.

Nach dieser Erfahrung habe ich mich die letzten Wochen dann eher auf Mentaltraining beschränkt und mir vor allem gut zugeredet: „Ich schaffe das!“, „Der Weg ist das Ziel!“ „Ich bin nicht verrückt!“

Apropos verrückt. Verrückt machen sich ganz offensichtlich zahlreiche der insgesamt gut 2500 Mammutmarscher. Was da in den Facebook-Foren so für Fragen aufkamen … Fast täglich wurde nach der perfekten Schuh-Socken-Kombination, einer Anleitung zum GPS-Track-auf-der-besten-App-anzeigen oder der besten Stirnlampe gefragt. Panik brach aus, als nicht alle Teilnehmer direkt am ersten Tag alle Info-E-Mails und Startpässe – die kamen per Post … das Problem ist offensichtlich – erhielten. Reichlich Tipps wurden auch bezüglich der Verpflegung und dem Gepäck ausgetauscht. Das Spektrum reicht dabei von „‘ne Flasche Wasser und ‘ne Stulle“ bis hin zum halben Hausstand oder der Ausrüstung für eine vier- bis sechswöchige Dschungelexpedition. Meine Lieblingsfrage war aber die nach den Brandenburger Wolfsrudeln. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr in den vorpolnischen Wäldern. Diese Raubtiere warten schon sehnsüchtig auf die wilde Wanderhorde um sich endlich mal wieder so richtig sattfressen zu können. Noch heute werden abgenagte Knochenreste von Teilnehmern aus dem letzten Jahr gefunden. Einige gelten immer noch als vermisst. Ich entschied mich daher sicherheitshalber in Startgruppe 4 zu starten. Da sollte der erste Wolfshunger gestillt sein.

Am Samstag 16:30 Uhr fällt dann der Startschuss für meine bisher vermutlich größte Herausforderung. Vorher heißt es noch Rucksack packen (Wasser, Tee, ne Cola, Bananen, Brötchen, Eier, Müsliriegel, Schokolade (!), Stirnlampe, Wechselsocken und -Klamotten, Taschenmesser (für die Wölfe), Magnesium, Energieriegel, iPod und den Extra-Akku fürs Telefon. Außerdem auf gutes Wetter hoffen und bevor die Tort(o)ur beginnt, gut ausschlafen und den internen Energiespeicher bei einer Pasta-Orgie ordentlich auffüllen.

Drückt mir die Daumen! Und wenn ich dann nach etwa zwei bis drei Wochen wieder ansprechbar bin, werde ich berichten.

PS: Immer wenn irgendwo „Mammutmarsch“ steht, lese ich schon nur noch „MammutmARSCH!“. Ich habe also schon eine Ahnung wie ich mich danach fühlen werde.

PPS: Patientenverfügung und Testament liegen in der linken oberen Schublade!