Wenn dem Smartphone der Sauerstoff ausgeht
Direkt vorn weg: auf diesen Beitrag hätte ich liebend
gern verzichtet. Doch dummer Weise hat mein Smartphone auf dem letzten
Festivalbesuch das Komasaufen neu für sich entdeckt. Mit dem Ergebnis, dass es
auch nach knapp zwei Tagen trockenlegen immer noch keine Regung wieder zeigte.
Logisch, dass ich sehr gern erheblich schneller reagiert und eine
Mobiltelefon-Rettungsdienst aufgesucht hätte, aber diese Möglichkeit bestand einfach
nicht. Also bin ich dann direkt in den Shop, wo ich das Gerät damals gekauft
hatte und landete – wie es der Zufall so wollte – direkt bei derselben Beraterin
wie vor etwa eineinhalb Jahren. Ich schob ihr mein Telefon über den Tresen, in
der Hoffnung eine kurze Diagnose zu erhalten und sofortige Hilfe à la „das
schicken wir ein“ oder „wenden Sie sich dort hin“ angeboten zu bekommen. Sie
nahm das Smartphone in die Hand und versuchte den Rückendeckel zu entfernen.
Nach ein, zwei ebenso halbherzigen wie missglückten Versuchen das Gerät zu
öffnen, schob sie mir selbiges zurück, schaute mich mit großen Augen an und
meinte ich sollte das mal Versuchen, sie möchte sich keinen Fingernagel
abbrechen. Ich – mit leicht gequältem Lächeln – den Deckel entfernt, ihr zurück
gegeben und gebeichtet, dass es vermutlich ein Wasserschaden ist. Sie entfernt
den Akku, schaut hinein und nach kurzem Zögern meint sie: „das sieht nicht gut
aus, wenn es ein Wasserschaden ist“. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie mir,
wenn ich behauptet hätte, es ist ein Feuerschaden, nicht auch zugestimmt hätte.
Nachdem sie mich aber weder gefragt hatte, ob ich überhaupt Kunde bei ihnen
bin, noch irgendeine Idee hatte wo ich mich hinwenden könnte oder sich in sonst
irgendeiner Weise hilfswillig gezeigt hatte, nahm ich nach vergeudeten gut
dreißig Minuten die Einzelteile, setzte siewieder zusammen und bekam, aber
wirklich erst im hinausgehen noch hinterhergerufen: „Im Live-Shop sind unsere
Ohtu-Guru, vielleicht bekommst du da was raus!“ Live-Shop ... Ohtu-Guru …
klingt ja vielversprechend.
Auf dem Weg dorthin taucht plötzlich neben mir ein
Smartphone-Tablet-und-Co-Reparaturladen auf. Ich hinein, der Typ hinterm Tresen
hört sich mein Problem an, meint: „wenn es ein Wasserschaden ist, sieht in der
Tat so aus, ist da nicht viel zu retten“. Da der Laden aber auf angebissene
Produkte aus dem Obstregal spezialisiert ist und er es auch zum Durchchecken
hätte einschicken müssen. Bin ich auch dort unverrichteter Dinge wieder
abgezogen um mein Glück zumindest noch bei Ohtu-Guru im Live-Shop zu versuchen,
während mir aber langsam immer klarer wurde … alles läuft wohl auf eine
ungeplante monetäre Ausgabe größeren Ausmaßes hinaus.
Im Live-Shop angekommen entdeckte ich, gut versteckt
neben der Saftbar, wo es logischer Weise überwiegend Kaffeespezialitäten gab,
das Wort „Werkstatt“ über einer kleinen Holzluke in der Wand. Ein
hoffnungsvolles Lächeln zauberte sich auf mein Gesicht, bis ich, ja bis ich vor
dieser Öffnung stand, dahinter zwei unmotivierte, in Uniform gesteckte Nerds
hinter einem Laptop in einem Kabuff voller leerer Regale. Die beiden strotzten
nur so vor Arbeitselan, Hilfsbereitschaft Kommunikationstalent und … ach nee
jetzt hab ich die beiden verwechselt, sie versprühten eher den Enthusiasmus
einer umgekippten Zimmerpflanze. Ich ihnen also mein Problem geschildert –
Handy im Arsch, vermutlich nass geworden oder Kurzschluss – und das defekte
Gerät durchs Fenster gereicht. Dann wurde es Slapstick. Beide schauen im
gemächlichen Wechsel sich gegenseitig und dann wieder mich an, als ob ich bei
denen gerade ein halbes Pfund Hack, zwei Tickets für das nächste Heimspiel der
Hertha und einen neuen Haarschnitt gleichzeitig bestellt hätte. Irgendwann
erbarmt sich der nerdigere von beiden und versucht die Rückenschale des
Smartphones zu entfernen. Mit den Worten: „das ist aber keine Originalhülle?!“.
Doch ist es steht sogar drauf! Zugegeben nicht das labberige Standardcover,
sondern so ein ganz verrücktes mit einer Schutzklappe für das Display. Er
fummelt weiter daran rum, teilt mir mit, dass er sich ja gerade erst die
Fingernägel geschnitten hätte – damit besteht bei ihm wenigstens nicht die
Gefahr das selbige abbrechen –bis ihm irgendwann einfällt, er hat ja passendes
Werkzeug neben sich liegen. Schon nach drei Versuchen und einem ersten kleinen
Kratzer auf der Hülle springt die Rückwand wie von Zauberhand auf, er entnimmt
den Akku und stellt fachmännisch fest: „Mhh, sieht tatsächlich nach einem
Wasserschaden aus. Und dann sieht es wirklich schlecht aus.“ Vielen Dank für die
Hilfe. Ich frage ihn, ob er vielleicht wenigstens testen und damit ausschließen
kann, ob es nicht am Akku liegt. Er: „Muss ich mal schau‘n“ holt sein eigenes
Samsung S5 raus – blop – die Hülle ab, holt seinen Akku raus, hält ihn neben
meinen, grient mich an: „nee, passt nich! siehste?“ und präsentiert stolz die
beiden unterschiedlich großen Akkus. Der Typ neben ihm erwacht und feuert mir
kurz nacheinander um die Ohren: „Na dann kannste den Akku schon mal nich
verwechseln!“ und „das is schon das dritte kaputte S3 diese Woche“. Ich danke
ihm für diesen hilfreichen Gastbeitrag und versuche mein Glück weiter mit
seinem Kollegen. Innerhalb der nächsten zähen Minuten, bekomme ich zumindest
auch hier die Information, dass das Telefon eingeschickt werden muss, ich dann
einen Kostenvoranschlag bekomme und daraufhin entscheiden kann, ob eine
Reparatur lohnt oder nicht. Ich nicke ihm zu und betone mehrfach, dass er dann
doch bitte GENAU DAS! jetzt einleiten solle. Sein interner Speicher scheint
jedoch für solch komplexen Anforderungen nicht ausgelegt, denn ich kann
förmlich sehen, wie jedes von mir gesprochene Wort, in einzelnen Buchstaben von
ihm aufgenommen, in ihm drin wieder zu Worten zusammengesetzt und verarbeitet
wird. Wie aus heiterem Himmel verkündet er, dass wir dazu an einen Schalter
gehen müssten, da er – also sein Laptop – noch nicht ans System angeschlossen
ist.
Wir stehen jetzt also vor den immer noch ziemlich gut
frequentierten Schaltern und warten auf einen freien Berater. Ich versuche mich
in Smalltalk um Hintergründe über diesen geballten Dilettantismus zu erhalten.
Er blüht nun förmlich auf und so erfahre ich, dass die Werkstatt erst wieder
neu eröffnet wird, deshalb noch nicht voll ausgestattet, eingerichtet und
funktionstüchtig ist, und – der Stolz kehrt in ihn zurück – er daher eine so
genaue (!?!) Fehleranalyse machen konnte, da er ursprünglich vom
Samsung-Reparatur-Service kommt. Ich versuche mein ungläubiges Kopfschütteln zu
unterdrücken und das Lächeln nicht ganz aus dem Gesicht entgleiten zu lassen.
Nach gut zehn Minuten – wir sind in der Warteschlange keinen Millimeter
vorangekommen – taucht plötzlich einer der sagenumwobenen Ohtu-Gurus neben uns
auf und versucht zu helfen. Ich habe spontan das erste Mal das Gefühl, dass nun
doch jemand ernsthaft an meinem Problem, aber vor allem an dessen Lösung
Interesse zeigt und mir wirklich kompetent Auskunft geben kann. Der
Werkstatt-Nerd berichtet immer noch mit stolzgeschwellter Brust seine
Schadensanalyse – Telefon kaputt, sicher ein Flü-Schaden (ist der Geheimcode
für Wasserschaden), Kunde möchte Kostenvoranschlag für eventuelle Reparatur
–ich nicke zustimmend und die erste Frage, die mir gestellt wird: „Haben Sie
den Kaufvertrag dabei? Wir müssen ja sicher gehen, dass Sie das Gerät nicht
geklaut haben.“ Daraufhin spontan in mir drin (stark zensierte Version): „Du
verficktes Arschloch! Ich hab diese Kackgerät in eurem scheiß Saftladen
gekauft! Guck verdammt noch mal in deinem Dreckssystem nach! Penner!“. Ich
antworte mit leicht genervtem „Nein! Das wurde mir in der ersten Filiale leider
nicht gesagt.“ „ Warum sind Sie dann bei uns? Die hätten das doch auch
aufnehmen können.“ (Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, …) „Aber die
haben mich hierher geschickt!“ Bevor ich anfange wild um mich zu schlagen,
frage ich, wie lange hier heute jemand da sei, drehe mich um und beeile mich
nach Hause zu kommen um den Kaufvertrag zu holen um das Telefon wenigsten heute
noch loszuwerden.
Während der Busfahrt kommt mir spontan der Gedanke das
defekte Smartphone einfach bei voller Fahrt aus dem Fenster zu schmeißen … dann
wäre ich das Problem zumindest los. Als ich aus dem Bus aussteige, ergießt sich
spontan ein heftiger Regenschauer. Ich befürchte, bei meinem Glück wird nun
auch gleich mein Ersatztelefon noch einen kapitalen Wasserschaden erleiden.
Zuhause angekommen, durchwühle ich sämtliche Mobilfunkvertragunterlagen und
fische den kompletten Vorgang – Telefonkauf, neuer Vertrag – aus dem Ordner,
schaue noch kurz im Netz nach, was mich denn eigentlich ein Neukauf kosten
würde, verpacke alles Wasserdicht und fahre zurück Richtung Ohtu-Liveshop. Als
ich dort ankomme, sind natürlich weder
der Werkstatt-Nerd, noch der Ohtu-Guru noch im Haus – worüber ich jetzt auch
nur so mitteltraurig bin – dafür sind aber weiterhin sämtliche Verkaufsschalter
gut belegt und ich warte erneut. Als ich endlich an der Reihe bin, habe ich das
große Glück, wieder bei einer zwar netten und ganz ansehnlichen Beraterin zu
landen, ahne aber schon, dass mir genau das bei meinem Problem nicht wirklich
weiterhelfen wird.
Ich ihr also, zum wiederholten Male heut, mein Problem
geschildert und ihr ohne großes Tamtam erklärt was ich von ihr möchte – Telefon
ist defekt, Wasserschaden, Handy einschicken, Kostenvoranschlag, gut. Sie
schnappt sich das Smartphone, drückt wild alle vorhanden Tasten und als nichts
passiert – Überraschung – zerlegt sie es und lässt es sanft auf den Tresen
krachen. Nun beginnt sie wild suchend auf ihrem Desktop rumzuklicken, ich
vermute auf der Suche nach dem richtigen Formular und wird, nach freundlicher
Unterstützung ihres Kollegen irgendwann auch fündig. Nach einer Weile fragt sie
mich dann tatsächlich nach der Rechnung. Ich suche aus meinen Unterlagen das
benötigte Schriftstück heraus und reiche ihr den Kaufvertrag rüber. Sie: „Nein
ich brauch die Rechnung!“ Ich blicke Sie völlig entgeistert an, blicke kurz auf
das Stück Papier und zeige dann mit dem Finger auf das Wort „Rechnung“, plärre
sie an: „das ist die Rechnung!“ und bereue mir nicht spontan beim
Elektrofachhandel neben an direkt ein neues Smartphone gekauft zu haben. Nach
mehreren Minuten, in denen sie unter gelegentlichem Nachfragen und kurzzeitigem
Verschwinden das Formular ausfüllt, schiebt sie mir die Reste meines Telefons
(Akku und Rückendeckel) und den
Serviceauftrag zur Unterschrift über den Tresen. Als ich unterschrieben habe,
fällt ihr plötzlich etwas ein. Ob ich denn eine Tastensperre eingestellt hätte?
Die müsste ich bitte noch raus machen! Sonst könnten die beim Reparaturservice
ja gar nix machen. Ich schaue sie an, oder eher durch sie hindurch und breche
innerlich komplett zusammen. Als ich endlich wieder einen Hauch Fassung
gefunden habe, frage ich sie ganz ruhig, ob sie mich jetzt verarschen will und
erläutere ihr noch ein letztes Mal, dass das Gerät bedauerlicher Weise keinen,
wirklich gar keinen Mucks mehr von sich gibt und ich daher, außer eine
Bierflasche öffnen, mit dem Telefon überhaupt nichts mehr machen könnte und
eben genau aus diesem Grund das Gerät gern zur Reparatur geben würde. Ob sie es
verstanden hat kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber sie
steckt darauf hin zumindest Resttelefon, Rechnungskopie und Auftrag zusammen in
einen Umschlag und setzt ihr Lächeln wieder auf.
In Gedanken habe ich das alte S3 inzwischen längst abgeschrieben
und drehe mich, nachdem ich schon fast dabei war den Heimweg anzutreten, noch
einmal zu ihr um und frage, wie es denn ausschaut mit einem neuen Telefon.
Schließlich bin ich schon zehn Jahre vorbildlicher Kunde... sie schaut
routiniert im System nach meinen Kundendaten und schalmeit mir, gerade so, also
wäre alles in bester Ordnung entgegen: „na, in vier Monaten läuft ihr Vertrag
aus, da können wir dann was subventionieren.“ … heißt also auf gut deutsch:
schon in vier Monaten bekomme ich ein Nokia 0815-4711 für nur einen Euro zur
Vertragsverlängerung dazu. Bis dahin … sieh zu!
Auf dem finalen Weg nach Hause überfällt mich ein
Gefühl von Montag. Mir kommt in den Sinn, dass montags Schnitzel-Montag ist und
frage eine Freundin, ob sie spontan Lust hat mitzukommen. Sie versichert mir
glaubhaft, dass heute Dienstag wäre. Das Ergebnis ist zwar enttäuschend, aber
wenigstens erhalte ich zumindest noch eine schnelle, verlässliche und konkrete
Antwort.