Freitag, 22. August 2014

Der Serviceauftrag

Wenn dem Smartphone der Sauerstoff ausgeht



Direkt vorn weg: auf diesen Beitrag hätte ich liebend gern verzichtet. Doch dummer Weise hat mein Smartphone auf dem letzten Festivalbesuch das Komasaufen neu für sich entdeckt. Mit dem Ergebnis, dass es auch nach knapp zwei Tagen trockenlegen immer noch keine Regung wieder zeigte. Logisch, dass ich sehr gern erheblich schneller reagiert und eine Mobiltelefon-Rettungsdienst aufgesucht hätte, aber diese Möglichkeit bestand einfach nicht. Also bin ich dann direkt in den Shop, wo ich das Gerät damals gekauft hatte und landete – wie es der Zufall so wollte – direkt bei derselben Beraterin wie vor etwa eineinhalb Jahren. Ich schob ihr mein Telefon über den Tresen, in der Hoffnung eine kurze Diagnose zu erhalten und sofortige Hilfe à la „das schicken wir ein“ oder „wenden Sie sich dort hin“ angeboten zu bekommen. Sie nahm das Smartphone in die Hand und versuchte den Rückendeckel zu entfernen. Nach ein, zwei ebenso halbherzigen wie missglückten Versuchen das Gerät zu öffnen, schob sie mir selbiges zurück, schaute mich mit großen Augen an und meinte ich sollte das mal Versuchen, sie möchte sich keinen Fingernagel abbrechen. Ich – mit leicht gequältem Lächeln – den Deckel entfernt, ihr zurück gegeben und gebeichtet, dass es vermutlich ein Wasserschaden ist. Sie entfernt den Akku, schaut hinein und nach kurzem Zögern meint sie: „das sieht nicht gut aus, wenn es ein Wasserschaden ist“. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie mir, wenn ich behauptet hätte, es ist ein Feuerschaden, nicht auch zugestimmt hätte. Nachdem sie mich aber weder gefragt hatte, ob ich überhaupt Kunde bei ihnen bin, noch irgendeine Idee hatte wo ich mich hinwenden könnte oder sich in sonst irgendeiner Weise hilfswillig gezeigt hatte, nahm ich nach vergeudeten gut dreißig Minuten die Einzelteile, setzte siewieder zusammen und bekam, aber wirklich erst im hinausgehen noch hinterhergerufen: „Im Live-Shop sind unsere Ohtu-Guru, vielleicht bekommst du da was raus!“ Live-Shop ... Ohtu-Guru … klingt ja vielversprechend.
Auf dem Weg dorthin taucht plötzlich neben mir ein Smartphone-Tablet-und-Co-Reparaturladen auf. Ich hinein, der Typ hinterm Tresen hört sich mein Problem an, meint: „wenn es ein Wasserschaden ist, sieht in der Tat so aus, ist da nicht viel zu retten“. Da der Laden aber auf angebissene Produkte aus dem Obstregal spezialisiert ist und er es auch zum Durchchecken hätte einschicken müssen. Bin ich auch dort unverrichteter Dinge wieder abgezogen um mein Glück zumindest noch bei Ohtu-Guru im Live-Shop zu versuchen, während mir aber langsam immer klarer wurde … alles läuft wohl auf eine ungeplante monetäre Ausgabe größeren Ausmaßes hinaus.
Im Live-Shop angekommen entdeckte ich, gut versteckt neben der Saftbar, wo es logischer Weise überwiegend Kaffeespezialitäten gab, das Wort „Werkstatt“ über einer kleinen Holzluke in der Wand. Ein hoffnungsvolles Lächeln zauberte sich auf mein Gesicht, bis ich, ja bis ich vor dieser Öffnung stand, dahinter zwei unmotivierte, in Uniform gesteckte Nerds hinter einem Laptop in einem Kabuff voller leerer Regale. Die beiden strotzten nur so vor Arbeitselan, Hilfsbereitschaft Kommunikationstalent und … ach nee jetzt hab ich die beiden verwechselt, sie versprühten eher den Enthusiasmus einer umgekippten Zimmerpflanze. Ich ihnen also mein Problem geschildert – Handy im Arsch, vermutlich nass geworden oder Kurzschluss – und das defekte Gerät durchs Fenster gereicht. Dann wurde es Slapstick. Beide schauen im gemächlichen Wechsel sich gegenseitig und dann wieder mich an, als ob ich bei denen gerade ein halbes Pfund Hack, zwei Tickets für das nächste Heimspiel der Hertha und einen neuen Haarschnitt gleichzeitig bestellt hätte. Irgendwann erbarmt sich der nerdigere von beiden und versucht die Rückenschale des Smartphones zu entfernen. Mit den Worten: „das ist aber keine Originalhülle?!“. Doch ist es steht sogar drauf! Zugegeben nicht das labberige Standardcover, sondern so ein ganz verrücktes mit einer Schutzklappe für das Display. Er fummelt weiter daran rum, teilt mir mit, dass er sich ja gerade erst die Fingernägel geschnitten hätte – damit besteht bei ihm wenigstens nicht die Gefahr das selbige abbrechen –bis ihm irgendwann einfällt, er hat ja passendes Werkzeug neben sich liegen. Schon nach drei Versuchen und einem ersten kleinen Kratzer auf der Hülle springt die Rückwand wie von Zauberhand auf, er entnimmt den Akku und stellt fachmännisch fest: „Mhh, sieht tatsächlich nach einem Wasserschaden aus. Und dann sieht es wirklich schlecht aus.“ Vielen Dank für die Hilfe. Ich frage ihn, ob er vielleicht wenigstens testen und damit ausschließen kann, ob es nicht am Akku liegt. Er: „Muss ich mal schau‘n“ holt sein eigenes Samsung S5 raus – blop – die Hülle ab, holt seinen Akku raus, hält ihn neben meinen, grient mich an: „nee, passt nich! siehste?“ und präsentiert stolz die beiden unterschiedlich großen Akkus. Der Typ neben ihm erwacht und feuert mir kurz nacheinander um die Ohren: „Na dann kannste den Akku schon mal nich verwechseln!“ und „das is schon das dritte kaputte S3 diese Woche“. Ich danke ihm für diesen hilfreichen Gastbeitrag und versuche mein Glück weiter mit seinem Kollegen. Innerhalb der nächsten zähen Minuten, bekomme ich zumindest auch hier die Information, dass das Telefon eingeschickt werden muss, ich dann einen Kostenvoranschlag bekomme und daraufhin entscheiden kann, ob eine Reparatur lohnt oder nicht. Ich nicke ihm zu und betone mehrfach, dass er dann doch bitte GENAU DAS! jetzt einleiten solle. Sein interner Speicher scheint jedoch für solch komplexen Anforderungen nicht ausgelegt, denn ich kann förmlich sehen, wie jedes von mir gesprochene Wort, in einzelnen Buchstaben von ihm aufgenommen, in ihm drin wieder zu Worten zusammengesetzt und verarbeitet wird. Wie aus heiterem Himmel verkündet er, dass wir dazu an einen Schalter gehen müssten, da er – also sein Laptop – noch nicht ans System angeschlossen ist.
Wir stehen jetzt also vor den immer noch ziemlich gut frequentierten Schaltern und warten auf einen freien Berater. Ich versuche mich in Smalltalk um Hintergründe über diesen geballten Dilettantismus zu erhalten. Er blüht nun förmlich auf und so erfahre ich, dass die Werkstatt erst wieder neu eröffnet wird, deshalb noch nicht voll ausgestattet, eingerichtet und funktionstüchtig ist, und – der Stolz kehrt in ihn zurück – er daher eine so genaue (!?!) Fehleranalyse machen konnte, da er ursprünglich vom Samsung-Reparatur-Service kommt. Ich versuche mein ungläubiges Kopfschütteln zu unterdrücken und das Lächeln nicht ganz aus dem Gesicht entgleiten zu lassen. Nach gut zehn Minuten – wir sind in der Warteschlange keinen Millimeter vorangekommen – taucht plötzlich einer der sagenumwobenen Ohtu-Gurus neben uns auf und versucht zu helfen. Ich habe spontan das erste Mal das Gefühl, dass nun doch jemand ernsthaft an meinem Problem, aber vor allem an dessen Lösung Interesse zeigt und mir wirklich kompetent Auskunft geben kann. Der Werkstatt-Nerd berichtet immer noch mit stolzgeschwellter Brust seine Schadensanalyse – Telefon kaputt, sicher ein Flü-Schaden (ist der Geheimcode für Wasserschaden), Kunde möchte Kostenvoranschlag für eventuelle Reparatur –ich nicke zustimmend und die erste Frage, die mir gestellt wird: „Haben Sie den Kaufvertrag dabei? Wir müssen ja sicher gehen, dass Sie das Gerät nicht geklaut haben.“ Daraufhin spontan in mir drin (stark zensierte Version): „Du verficktes Arschloch! Ich hab diese Kackgerät in eurem scheiß Saftladen gekauft! Guck verdammt noch mal in deinem Dreckssystem nach! Penner!“. Ich antworte mit leicht genervtem „Nein! Das wurde mir in der ersten Filiale leider nicht gesagt.“ „ Warum sind Sie dann bei uns? Die hätten das doch auch aufnehmen können.“ (Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, …) „Aber die haben mich hierher geschickt!“ Bevor ich anfange wild um mich zu schlagen, frage ich, wie lange hier heute jemand da sei, drehe mich um und beeile mich nach Hause zu kommen um den Kaufvertrag zu holen um das Telefon wenigsten heute noch loszuwerden.
Während der Busfahrt kommt mir spontan der Gedanke das defekte Smartphone einfach bei voller Fahrt aus dem Fenster zu schmeißen … dann wäre ich das Problem zumindest los. Als ich aus dem Bus aussteige, ergießt sich spontan ein heftiger Regenschauer. Ich befürchte, bei meinem Glück wird nun auch gleich mein Ersatztelefon noch einen kapitalen Wasserschaden erleiden. Zuhause angekommen, durchwühle ich sämtliche Mobilfunkvertragunterlagen und fische den kompletten Vorgang – Telefonkauf, neuer Vertrag – aus dem Ordner, schaue noch kurz im Netz nach, was mich denn eigentlich ein Neukauf kosten würde, verpacke alles Wasserdicht und fahre zurück Richtung Ohtu-Liveshop. Als ich dort  ankomme, sind natürlich weder der Werkstatt-Nerd, noch der Ohtu-Guru noch im Haus – worüber ich jetzt auch nur so mitteltraurig bin – dafür sind aber weiterhin sämtliche Verkaufsschalter gut belegt und ich warte erneut. Als ich endlich an der Reihe bin, habe ich das große Glück, wieder bei einer zwar netten und ganz ansehnlichen Beraterin zu landen, ahne aber schon, dass mir genau das bei meinem Problem nicht wirklich weiterhelfen wird.
Ich ihr also, zum wiederholten Male heut, mein Problem geschildert und ihr ohne großes Tamtam erklärt was ich von ihr möchte – Telefon ist defekt, Wasserschaden, Handy einschicken, Kostenvoranschlag, gut. Sie schnappt sich das Smartphone, drückt wild alle vorhanden Tasten und als nichts passiert – Überraschung – zerlegt sie es und lässt es sanft auf den Tresen krachen. Nun beginnt sie wild suchend auf ihrem Desktop rumzuklicken, ich vermute auf der Suche nach dem richtigen Formular und wird, nach freundlicher Unterstützung ihres Kollegen irgendwann auch fündig. Nach einer Weile fragt sie mich dann tatsächlich nach der Rechnung. Ich suche aus meinen Unterlagen das benötigte Schriftstück heraus und reiche ihr den Kaufvertrag rüber. Sie: „Nein ich brauch die Rechnung!“ Ich blicke Sie völlig entgeistert an, blicke kurz auf das Stück Papier und zeige dann mit dem Finger auf das Wort „Rechnung“, plärre sie an: „das ist die Rechnung!“ und bereue mir nicht spontan beim Elektrofachhandel neben an direkt ein neues Smartphone gekauft zu haben. Nach mehreren Minuten, in denen sie unter gelegentlichem Nachfragen und kurzzeitigem Verschwinden das Formular ausfüllt, schiebt sie mir die Reste meines Telefons (Akku und Rückendeckel)  und den Serviceauftrag zur Unterschrift über den Tresen. Als ich unterschrieben habe, fällt ihr plötzlich etwas ein. Ob ich denn eine Tastensperre eingestellt hätte? Die müsste ich bitte noch raus machen! Sonst könnten die beim Reparaturservice ja gar nix machen. Ich schaue sie an, oder eher durch sie hindurch und breche innerlich komplett zusammen. Als ich endlich wieder einen Hauch Fassung gefunden habe, frage ich sie ganz ruhig, ob sie mich jetzt verarschen will und erläutere ihr noch ein letztes Mal, dass das Gerät bedauerlicher Weise keinen, wirklich gar keinen Mucks mehr von sich gibt und ich daher, außer eine Bierflasche öffnen, mit dem Telefon überhaupt nichts mehr machen könnte und eben genau aus diesem Grund das Gerät gern zur Reparatur geben würde. Ob sie es verstanden hat kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber sie steckt darauf hin zumindest Resttelefon, Rechnungskopie und Auftrag zusammen in einen Umschlag und setzt ihr Lächeln wieder auf.
In Gedanken habe ich das alte S3 inzwischen längst abgeschrieben und drehe mich, nachdem ich schon fast dabei war den Heimweg anzutreten, noch einmal zu ihr um und frage, wie es denn ausschaut mit einem neuen Telefon. Schließlich bin ich schon zehn Jahre vorbildlicher Kunde... sie schaut routiniert im System nach meinen Kundendaten und schalmeit mir, gerade so, also wäre alles in bester Ordnung entgegen: „na, in vier Monaten läuft ihr Vertrag aus, da können wir dann was subventionieren.“ … heißt also auf gut deutsch: schon in vier Monaten bekomme ich ein Nokia 0815-4711 für nur einen Euro zur Vertragsverlängerung dazu. Bis dahin … sieh zu!
Auf dem finalen Weg nach Hause überfällt mich ein Gefühl von Montag. Mir kommt in den Sinn, dass montags Schnitzel-Montag ist und frage eine Freundin, ob sie spontan Lust hat mitzukommen. Sie versichert mir glaubhaft, dass heute Dienstag wäre. Das Ergebnis ist zwar enttäuschend, aber wenigstens erhalte ich zumindest noch eine schnelle, verlässliche und konkrete Antwort.