Ja, ich weiß, es gehört schon eine erhebliche Portion
Leichtsinn, Übermut, Naivität und Chuzpe dazu, schon jetzt ein Upgrade von
Windows 8.1 auf den unfassbar zukunftsweisenden Nachfolger Windows 10 zu wagen.
Doch seit geraumer Zeit leuchtet in meiner Taskleiste dieses kleine
unscheinbare Symbol mit den vier Kästchen und tönt beim roll-over ganz keck
mein Windows-Upgrade wäre verfügbar. Und dann ist da noch die seit Ende Juli in
Dauerschleife laufende Werbung mit den niedlichen kleinen Kindern und den unzähligen
tollen Versprechungen. Das hat mich einfach komplett überzeugt!
Ein neugieriger Klick auf das Mini-Icon und wie von
Geisterhand springt mir ein Pop-Up entgegen, lobt meine Courage und führt mich
– beinahe alternativlos – dazu in Versuchung, mich für das kostenfreie Upgrade
zu registrieren. Ich gebe großzügig meine E-Mail-Adresse preis und erhalte im
Gegenzug prompt den Hinweis: „kann ne Weile dauern bis de dran bist!“.
Tatsächlich blinkt seitdem täglich die Warnung auf, mein
persönliches Upgrade würde nur noch kurze Zeit zur Verfügung stehen. Ein
deutlicher Ansporn, es mir nicht noch einmal anders zu überlegen und mir das
Motto „Never touch a running system!“ zu sehr zu Herzen zu nehmen. Gleichzeitig
wird die Vorfreude auf mein neues Betriebssystem dadurch von Minute zu Minute
ins nahezu Unermessliche gesteigert. Nach einigen Tagen blinkt dann endlich
eine andere Meldung auf und suggeriert mir, ich könnte nun mit dem Update
beginnen.
Meine Neugier und mein Mut werden plötzlich jäh von einem
Anflug von Vorsicht ausgebremst. – Flashback: Wie oft ist Windows bei
Installationsversuchen seit der 95er Version bisher einfach abgeschmiert oder
hat sich mit ServicePacks und automatischen Sicherheitsupdates selbst geschrottet?
– Ich minimiere das kleine Fenster, welches mich freundlichst anbettelt: „Klick
hier! Und alles wird besser!“, beende alle laufenden Anwendungen, sichere
sämtliche auf Laufwerk C gespeicherten Daten, erstelle einen
Wiederherstellungspunkt und hole mir einen Schnaps. Dann schaue ich auf die
Uhr. Es ist schon spät. Ich möchte ruhig schlafen und beschließe für den
morgigen Tag einen neuen Versuch zu starten.
Nächster Tag, ich starte meinen Laptop und werde erneut von der Meldung „mein
kostenfreies Upgrade stünde jetzt! bereit“ begrüßt. Ich überwinde alle Zweifel
und klicke mich durch den Upgrade-Dialog. Mein Puls erreicht langsam wieder
Normalniveau als ich lese und realisiere, dass das Update nun erst einmal
auf meinen Rechner heruntergeladen wird. Da genug Speicherplatz vorhanden sein
sollte, minimiere ich das Fenster und widme mich spannenderen Aufgaben. Nach einigen wenigen Stunden (ich kann leider
wirklich nicht mehr genau sagen, wie lange der Downloadprozess gedauert hat)
ploppt ein größeres Fenster auf und konfrontiert mich mit der Frage, ob ich
nun, wo alle Daten heruntergeladen wurden, dass Update auf Win10 nicht auch
gleich direkt ausführen wollen würde? Klare Antwort: Nein! Ich plane das Update
für zwei Tage später ein. Mehr Spielraum ist auch nicht.
Die beiden Tage sind rum, ich habe mich seelisch und
moralisch auf die Umstellung von 8.1 auf 10 eingestellt, mir Nervennahrung
bereitgelegt und Beistand von Freunden, Familie und Kollegen eingeholt. Ich
prüfe noch einmal, ob ich alle wichtigen Daten von C gesichert habe und
erstelle erneut einen Wiederherstellungspunkt. Doppelt hält besser! Dann starte
ich das Update und der Bildschirm erstrahlt in hellblau. Darauf ist in weißer
Schrift zu lesen: „Das Update für Windows 10 wird konfiguriert. 0%
abgeschlossen. Schalten Sie den Computer nicht aus.“
Bis etwas passiert, vergeht einige Zeit. Als aus 0% dann
1% wird, entscheide ich voller Optimismus „läuft!“ und bereite mir Abendessen
zu. Gelegentlich schaue ich nach dem Fortschritt. Mühsam ernährt sich das
Eichhörnchen, aber es ist ja noch hell draußen.
Es vergehen etliche Minuten, doch die Prozentangabe
entwickelt sich kontinuierlich. Nachdem die 100% erreicht sind, wird der
Bildschirm dunkel. Mittig leuchtet ein Kreis auf und umrahmt die nächste Prozent-Fortschritts-Angabe.
Die 0% wirken ernüchternd. Darüber prangt in großen weißen Lettern der
Schriftzug „Windows-Upgrade wird durchgeführt“. Deutlich kleiner darunter: „Ihr
PC wird einige Male neu gestartet, währenddessen können Sie sich entspannt zurücklehnen.“
– „Entspannt zurücklehnen …?“ Bei einem Windows-Update. Ein Scherz?! Ich lache
auf. Galgenhumor. Kalter Angstschweiß
auf meiner Stirn. Entspannt zurücklehnen? Entspannt zurücklehnen! Ich
versuche mich zu beruhigen. Da steht immer noch 0%. Ich schaue nach meinem
Essen. Süßkartoffelgratin. Das ist fast fertig. Das Rezept gibt’s bald. Ich
gehe zurück, schaue auf den Laptopmonitor … 0%. Ich esse vorm TV. Gleich kommt
Fußball. Ich gönn mir und meinen Nerven ein Bier. Plötzlich geht es zügig
voran. Das erste Drittel ist schnell geschafft. Ich bin erstaunt als sich der
Laptop urplötzlich neu startet. Ich werde kurz unruhig, was sich aber rasch
wieder gibt, als das Update scheinbar problemlos weiterläuft. Ich schaue
Nachrichten und mit einem Auge immer wieder auf den Monitor. Gelegentlich
stoppt die Fortschrittsanzeige, was mich nicht weiter aus dem Konzept bringt,
wurschtelt sich aber bis ins dritte Drittel vorwärts und knackt, nach ungefähr
einer Stunde, die 90%-Marke… 91%! Noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Dann
ist das Update locker fertig und meine Mannschaft fegt dann ganz entspannt den
Underdog aus Norwegen vom Platz.
Anpfiff! 91%! Egal jetzt ist Fußball.
15 Sekunden später: 91%. Mein Team liegt 1:0 zurück.
20 Minuten später: Immer noch 91%. Es steht jetzt 0:2!
Entspannt zurücklehnen … am Arsch!
Nochmal 2 Minuten später: Scheiß auf das Windows-Update!
Es steht 0:3! Ich poltere laut fluchend durch mein Wohnzimmer.
Halbzeit: es steht immerhin 3:1. Das Update hat sich seit
gut anderthalb Stunden keinen Millimeter mehr bewegt. Draußen ist es inzwischen dunkel. Ich werde
etwas ungeduldig und google nach „Windows 10 Upgrade hängt“ … Toptreffer „… bei
91%“. Jackpot! Scheint also öfter vorzukommen. Ich klicke mich durch diverse
Foren und lese, dass das Update zwischen 25 Minuten und sieben Stunden dauern kann.
Das Spiel geht weiter, ich lese weiter. Es könnte an der Antiviren-Software
liegen. Möglich. Kurz nach der Pause fällt das 3:2. Meine Gemütslage bessert
sich etwas. Viele empfehlen das Upgrade abzubrechen, Virenscanner deaktivieren,
neu starten. Andere meinen, man muss nur Geduld haben. Ich denke über einen Abbruch des Updates nach. Versuche nur noch herauszubekommen wie. Mein Verein vergibt
eine Großchance nach der anderen. Das Update hängt weiterhin bei 91%.
Die 76. Minute. Endlich fällt der längst überfällige Ausgleich. Ich
brülle vor Erleichterung die Nachbarn wieder aus dem Schlaf und hoffe nun noch
auf den möglichen Siegtreffer. Inzwischen habe ich mich vorerst gegen einen
Update-Abbruch entschieden. Notfalls läuft das Ding halt über Nacht.
Das Spiel geht noch gut sechs Minuten plus Nachspielzeit.
Die Chancenverwertung lässt weiterhin zu wünschen übrig. Schließlich fällt doch noch das erlösende 4:3. In einer wilden Kombination aus Freude, Fassungslosigkeit und Erleichterung drehe ich mich um und sehe
im Augenwinkel, wie plötzlich aus der 91 eine 92 wird. Da steht immer noch „Lehnen
Sie sich entspannt zurück“. Das erste Mal seit zweieinhalb Stunden kann ich mich etwas beruhigt auf mein
Sofa fallen lassen. 93%.
Das Spiel ist vorbei und die Fortschrittsanzeige quält
sich langsam über die Zielgerade. 95%. Nach gut fünf Stunden erscheint endlich
wieder ein blauer Desktophintergrund. Ich melde mich an und werde darüber
informiert, dass sich das System jetzt nur noch ein wenig einrichtet. Eine
halbe Stunde später blinkt nix mehr, es drehen sich keine kleinen Rädchen oder
Symbole flackern auf. Windows 10 ist offiziell installiert. Ich schalte den
Laptop aus.