Mittwoch, 18. November 2015

Tod der Meinungsfreiheit

Ehrlich gesagt, ich bin langsam überfordert. Wem oder auf was kann man heute eigentlich noch trauen, außer dem eigenen Gewissen? Doch selbst das fällt immer schwerer. Sobald man glaubt, seine eigene Meinung, Lösung oder Antwort gefunden zu haben, wird man von allen Seiten mit anderen Wahrheiten bespuckt. Sei es das widerliche Propagandageschwätz einiger geistiger Tiefflieger, die von den Medien dahingerotzte, immer nach der reißerischsten Schlagzeile und größeren Gefällt-mir-Klicks-Anzahl lechzende, denkfrei vorgefertigte Meinung oder auch nur die belehrend-klugscheißerische ich-muss-überall-meinen-Senf-dazugeben Allwissenheit von Social-Media-Geistern.  Von wegen „Bild dir deine Meinung“ … friss meine Weisheit oder stirb! scheint das gültige Motto zu lauten.
Am leichtesten ist dabei definitiv der Umgang mit den Überzeugungen der Schwachmaten – egal ob Nazi oder religiöser Fanatiker. Deren Gedankengänge kann und werde und will ich im Grunde auch gar nicht verstehen, auch wenn die Fragen nach dem Warum? und Wieso? immer wieder auftauchen werden. Wer derart menschenverachtend „denkt“ und handelt, dem ist sowieso nicht zu helfen.
Weitaus beängstigender ist für mich das, was die Massenmedien so treiben. Da wird im Sekundentakt auf Basis von Vermutungen Stimmung gemacht, ohne auch nur einen Augenblick über die Tragweite des Gesagt- oder Geschriebenen nachzudenken. Oder eben vielleicht doch (?) nur eben nicht im Sinne der Vernunft, sondern im Sensationswahn – Lauter, Schneller, Härter – ohne Rücksicht auf Verluste.

„Es gibt keinen Unsinn, den man der Masse nicht durch geschickte Propaganda mundgerecht machen könnte.“ (Bertrand Russell)

Mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs werden vage Vorahnungen als Fakten über den Liveticker gejagt und die Themen, unter dem Deckmantel der journalistischen Informationspflicht, bis in die letzte Ecke ausgehöhlt. Dinge, bei denen man sich fragt: Ist das wirklich wichtig? Will ich das Wissen? Was soll ich mit dieser Information anfangen? Sind wir Menschen wirklich so sensationsgeil, dass wir uns an verwackelten Handybildern vom Tatort, herumliegenden Opfern, verstörten Augenzeugen, zutiefst traurigen Angehörigen oder unter extremsten Bedingungen arbeitenden Sicherheits- und Rettungskräften ergötzen müssen?
Die Medien lassen uns heute keine Zeit mehr zum Nachdenken, zum Luftholen, zum Begreifen. Ob sekündliche Sondersendungen auf allen Kanälen, Breaking News, Liveticker, Facebook-Posts, Tweets und Hashtags – Sozial-ADHS. Und dann kommt da so ein Fernsehkasper und stellt einfach mal so 100 offene Fragen in den Raum, teils hilflos, teils zynisch, teils einfach nur erschütternd ehrlich und irgend so einem Klatschpappen-Redakteur fällt nichts Besseres ein, als diese Fragen krampfhaft kläglich, mit Dampfhammer Witz, bei dem selbst Mario Barth als Humorfeingeist wirkt, dafür aber ohne jegliches Taktgefühl und Nachdenken in seine Tastatur zu kloppen und in DIE WELT hinauszuschießen.
Und dann dieses heuchlerische Mitgefühl, plötzlich sind wir alle Charlie oder Paris, denn es sind ja „Auch Deutsche unter den Opfern“. Dann haben wir gefälligst auch alle betroffen zu sein. Wenn sich aber in Afrika die Neger untereinander niedermetzeln oder sich die Alis in der arabischen Welt gegenseitig in die Luft sprengen (an dieser Stelle entschuldige ich mich für meinen Zynismus und die bewusst provokante Wortwahl), dann ist das in den News von heute vielleicht noch eine Kurzmeldung wert, morgen aber schon wieder verdrängt. Einhundert sinnlose Opfer bleiben einhundert sinnlose Opfer, egal wo auf dieser Welt. Auch wenn es nicht einfach ist, wir dürfen uns nicht von dieser einseitigen Berichterstattung – oder soll ich besser medialen Propaganda sagen – vereinnahmen lassen und blind und unreflektiert irgendetwas nachplappern, nur weil es in irgendeiner Zeitung steht oder von einem C-Promi getwittert wurde. Denn „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung […]“ (Artikel 19, UN-Menschenrechtscharta). Das bedeutet aber auch, dass jeder frei rausposaunen kann, was er will und sei es der größte Unfug.
Darüber hinaus heißt das aber auch, dass jeder das Recht hat, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese kundtun darf, aber – jetzt kommt`s – nicht zwangsläufig auch kundtun muss. Und Meinung heißt nicht gleichzeitig auch Wahrheit!
Wenn jetzt also jemand auf Facebook seine Gedanken und nicht nur ein ganz „zufällig“, unter Zuhilfenahme eines extra dafür produzierten Stabes, geknipstes Selfie, postet, dann kannst du dem zustimmen oder auch nicht. Dann kannst du sogar noch schreiben, dass du das ganz anders siehst. Aber in den meisten Fällen (diese Einschränkung muss man leider machen) musst du dich weder direkt persönlich angegriffen fühlen, dich als allwissender Klugscheißer gebären, geschweige denn rumpöbeln, was das Zeug hält. Ja, es ist nicht ganz leicht irgendwo in den „sozialen Medien“ etwas von sich zu geben, ohne dass sich davon jemand gleich auf den Schlips getreten fühlt und der Grat zwischen "Das wird man wohl noch sagen dürfen" und "was gesagt werden muss" wird zusehends schmaler. Was dagegen hilft? „Erst denken, dann schreiben!“ (hat mir meine Mutter beigebracht) und am besten noch einmal tief durchatmen oder im Zweifel „einfach mal die Fresse halten“.

„Da wir uns miteinander nur durch das Wort zu verständigen vermögen, verrät, wer es fälscht, die menschliche Gemeinschaft. Es ist das einzige Mittel, durch das wir unseren Willen und unsere Gedanken austauschen, es ist der Mittler unserer Seele. Wenn wir es verlieren, so haben wir keinen Zusammenhang und keine Kenntnis mehr voneinander. Wenn es uns betrügt, so zerstört es allen unseren Umgang und zerreißt alle Bande unserer Gesellschaft.“ (Michel de Montaigne)

PS: Hier hätte fast noch ein Absatz gestanden, in dem es um die „Meinungsäußerungen“ einiger Politiker u. ä. gegangen wäre. Ich habe mich aber dazu entschieden, mich in diesem Blog generell nicht direkt politisch zu äußern. Bin mir aber sicher, meine Haltung zu bestimmten Themen ist trotz allem deutlich genug zu erkennen.

Montag, 24. August 2015

Das Upgrade – lehnen Sie sich entspannt zurück


Ja, ich weiß, es gehört schon eine erhebliche Portion Leichtsinn, Übermut, Naivität und Chuzpe dazu, schon jetzt ein Upgrade von Windows 8.1 auf den unfassbar zukunftsweisenden Nachfolger Windows 10 zu wagen. Doch seit geraumer Zeit leuchtet in meiner Taskleiste dieses kleine unscheinbare Symbol mit den vier Kästchen und tönt beim roll-over ganz keck mein Windows-Upgrade wäre verfügbar. Und dann ist da noch die seit Ende Juli in Dauerschleife laufende Werbung mit den niedlichen kleinen Kindern und den unzähligen tollen Versprechungen. Das hat mich einfach komplett überzeugt!

Ein neugieriger Klick auf das Mini-Icon und wie von Geisterhand springt mir ein Pop-Up entgegen, lobt meine Courage und führt mich – beinahe alternativlos – dazu in Versuchung, mich für das kostenfreie Upgrade zu registrieren. Ich gebe großzügig meine E-Mail-Adresse preis und erhalte im Gegenzug prompt den Hinweis: „kann ne Weile dauern bis de dran bist!“.

Tatsächlich blinkt seitdem täglich die Warnung auf, mein persönliches Upgrade würde nur noch kurze Zeit zur Verfügung stehen. Ein deutlicher Ansporn, es mir nicht noch einmal anders zu überlegen und mir das Motto „Never touch a running system!“ zu sehr zu Herzen zu nehmen. Gleichzeitig wird die Vorfreude auf mein neues Betriebssystem dadurch von Minute zu Minute ins nahezu Unermessliche gesteigert. Nach einigen Tagen blinkt dann endlich eine andere Meldung auf und suggeriert mir, ich könnte nun mit dem Update beginnen.

Meine Neugier und mein Mut werden plötzlich jäh von einem Anflug von Vorsicht ausgebremst. – Flashback: Wie oft ist Windows bei Installationsversuchen seit der 95er Version bisher einfach abgeschmiert oder hat sich mit ServicePacks und automatischen Sicherheitsupdates selbst geschrottet? – Ich minimiere das kleine Fenster, welches mich freundlichst anbettelt: „Klick hier! Und alles wird besser!“, beende alle laufenden Anwendungen, sichere sämtliche auf Laufwerk C gespeicherten Daten, erstelle einen Wiederherstellungspunkt und hole mir einen Schnaps. Dann schaue ich auf die Uhr. Es ist schon spät. Ich möchte ruhig schlafen und beschließe für den morgigen Tag einen neuen Versuch zu starten.

Nächster Tag, ich starte meinen  Laptop und werde erneut von der Meldung „mein kostenfreies Upgrade stünde jetzt! bereit“ begrüßt. Ich überwinde alle Zweifel und klicke mich durch den Upgrade-Dialog. Mein Puls erreicht langsam wieder Normalniveau als ich lese und realisiere, dass das Update nun erst einmal auf meinen Rechner heruntergeladen wird. Da genug Speicherplatz vorhanden sein sollte, minimiere ich das Fenster und widme mich spannenderen Aufgaben. Nach einigen wenigen Stunden (ich kann leider wirklich nicht mehr genau sagen, wie lange der Downloadprozess gedauert hat) ploppt ein größeres Fenster auf und konfrontiert mich mit der Frage, ob ich nun, wo alle Daten heruntergeladen wurden, dass Update auf Win10 nicht auch gleich direkt ausführen wollen würde? Klare Antwort: Nein! Ich plane das Update für zwei Tage später ein. Mehr Spielraum ist auch nicht.

Die beiden Tage sind rum, ich habe mich seelisch und moralisch auf die Umstellung von 8.1 auf 10 eingestellt, mir Nervennahrung bereitgelegt und Beistand von Freunden, Familie und Kollegen eingeholt. Ich prüfe noch einmal, ob ich alle wichtigen Daten von C gesichert habe und erstelle erneut einen Wiederherstellungspunkt. Doppelt hält besser! Dann starte ich das Update und der Bildschirm erstrahlt in hellblau. Darauf ist in weißer Schrift zu lesen: „Das Update für Windows 10 wird konfiguriert. 0% abgeschlossen. Schalten Sie den Computer nicht aus.“

Bis etwas passiert, vergeht einige Zeit. Als aus 0% dann 1% wird, entscheide ich voller Optimismus „läuft!“ und bereite mir Abendessen zu. Gelegentlich schaue ich nach dem Fortschritt. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber es ist ja noch hell draußen.

Es vergehen etliche Minuten, doch die Prozentangabe entwickelt sich kontinuierlich. Nachdem die 100% erreicht sind, wird der Bildschirm dunkel. Mittig leuchtet ein Kreis auf und umrahmt die nächste Prozent-Fortschritts-Angabe. Die 0% wirken ernüchternd. Darüber prangt in großen weißen Lettern der Schriftzug „Windows-Upgrade wird durchgeführt“. Deutlich kleiner darunter: „Ihr PC wird einige Male neu gestartet, währenddessen können Sie sich entspannt zurücklehnen.“ – „Entspannt zurücklehnen …?“ Bei einem Windows-Update. Ein Scherz?! Ich lache auf. Galgenhumor. Kalter Angstschweiß  auf meiner Stirn. Entspannt zurücklehnen? Entspannt zurücklehnen! Ich versuche mich zu beruhigen. Da steht immer noch 0%. Ich schaue nach meinem Essen. Süßkartoffelgratin. Das ist fast fertig. Das Rezept gibt’s bald. Ich gehe zurück, schaue auf den Laptopmonitor … 0%. Ich esse vorm TV. Gleich kommt Fußball. Ich gönn mir und meinen Nerven ein Bier. Plötzlich geht es zügig voran. Das erste Drittel ist schnell geschafft. Ich bin erstaunt als sich der Laptop urplötzlich neu startet. Ich werde kurz unruhig, was sich aber rasch wieder gibt, als das Update scheinbar problemlos weiterläuft. Ich schaue Nachrichten und mit einem Auge immer wieder auf den Monitor. Gelegentlich stoppt die Fortschrittsanzeige, was mich nicht weiter aus dem Konzept bringt, wurschtelt sich aber bis ins dritte Drittel vorwärts und knackt, nach ungefähr einer Stunde, die 90%-Marke… 91%! Noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Dann ist das Update locker fertig und meine Mannschaft fegt dann ganz entspannt den Underdog aus Norwegen vom Platz.

Anpfiff! 91%! Egal jetzt ist Fußball.

15 Sekunden später: 91%. Mein Team liegt 1:0 zurück.

20 Minuten später: Immer noch 91%. Es steht jetzt 0:2! Entspannt zurücklehnen … am Arsch!

Nochmal 2 Minuten später: Scheiß auf das Windows-Update! Es steht 0:3! Ich poltere laut fluchend durch mein Wohnzimmer.

Halbzeit: es steht immerhin 3:1. Das Update hat sich seit gut anderthalb Stunden keinen Millimeter mehr bewegt. Draußen ist es inzwischen dunkel. Ich werde etwas ungeduldig und google nach „Windows 10 Upgrade hängt“ … Toptreffer „… bei 91%“. Jackpot! Scheint also öfter vorzukommen. Ich klicke mich durch diverse Foren und lese, dass das Update zwischen 25 Minuten und sieben Stunden dauern kann. Das Spiel geht weiter, ich lese weiter. Es könnte an der Antiviren-Software liegen. Möglich. Kurz nach der Pause fällt das 3:2. Meine Gemütslage bessert sich etwas. Viele empfehlen das Upgrade abzubrechen, Virenscanner deaktivieren, neu starten. Andere meinen, man muss nur Geduld haben. Ich denke über einen Abbruch des Updates nach. Versuche nur noch herauszubekommen wie. Mein Verein vergibt eine Großchance nach der anderen. Das Update hängt weiterhin bei 91%.

Die 76. Minute. Endlich fällt der längst überfällige Ausgleich. Ich brülle vor Erleichterung die Nachbarn wieder aus dem Schlaf und hoffe nun noch auf den möglichen Siegtreffer. Inzwischen habe ich mich vorerst gegen einen Update-Abbruch entschieden. Notfalls läuft das Ding halt über Nacht.

Das Spiel geht noch gut sechs Minuten plus Nachspielzeit. Die Chancenverwertung lässt weiterhin zu wünschen übrig. Schließlich fällt doch noch das erlösende 4:3. In einer wilden Kombination aus Freude, Fassungslosigkeit  und Erleichterung drehe ich mich um und sehe im Augenwinkel, wie plötzlich aus der 91 eine 92 wird. Da steht immer noch „Lehnen Sie sich entspannt zurück“. Das erste Mal seit zweieinhalb Stunden kann ich mich etwas beruhigt auf mein Sofa fallen lassen. 93%.

Das Spiel ist vorbei und die Fortschrittsanzeige quält sich langsam über die Zielgerade. 95%. Nach gut fünf Stunden erscheint endlich wieder ein blauer Desktophintergrund. Ich melde mich an und werde darüber informiert, dass sich das System jetzt nur noch ein wenig einrichtet. Eine halbe Stunde später blinkt nix mehr, es drehen sich keine kleinen Rädchen oder Symbole flackern auf. Windows 10 ist offiziell installiert. Ich schalte den Laptop aus.

Dienstag, 30. Juni 2015

The Tourists – der Hinflug



Das merkwürdige Verhalten erholungsbedürftiger Großstädter zur Urlaubszeit.

Alles beginnt am Flughafen, wo sich irgendein kluger Kopf von Air Berlin es für eine sensationelle Idee hielt, den Check-In für alle Passagiere am Montagmorgen in einer Reihe auszutesten. Was in der Theorie vielleicht nicht schlecht ist, aber in der Realität dummerweise am begrenzten Platzangebot des Flughafenterminals nach kurzer Zeit zum Scheitern verurteilt war. Ergebnis des Ganzen: zahlreiche Helferlein in Warnwesten schoben die Menschenschlange in der Halle von rechts nach links und zurück, um im schönen Wechsel, auch nur ansatzweise, Durchgangswege, Fluchtwege und Zugänge zu Toiletten, Cafés, Shops und den Abfluggates frei zu halten, während die zweite Abfertigungshalle mit gähnender Leere und einem Dutzend unbesetzter Schalter vor sich hin döste.

In der Warteschlange um mich herum Schweißausbrüche, Panikattacken und diverseste Flüche. Zugegeben, auch ich empfand die Situation jetzt nicht mega beglückend, aber Berlin und Flughäfen … naja man ist Kummer gewohnt. Als ich dann etwa eine halbe Stunde vor Abflug noch immer ohne Boardingpass, dafür mit Koffer in der Schlange stand, kam plötzlich der Warnwestenträger mit Tablet, von dem ich ein paar Minuten zuvor gefragt wurde, wann mein Flug geht, zu mir und ich durfte mich mit freundlicher Genehmigung vordrängeln. Die mir zufliegenden Hasstiraden quittierte ich mit einem süffisanten Lächeln. Da ich ganz offensichtlich noch nicht der letzte Passagier für meinen Urlaubsflieger war, bekam ich sogar noch einen Fensterplatz und konnte anschließend ohne unnütze Wartezeit schnurstracks durch Security-Check, Duty-Free-Shop bis auf meinen Sitzplatz im Flieger durchlaufen.

Und so ein Urlaubsflieger mit deutschen Touristen auf den Weg zum Strandurlaub ist … nennen wir es eindrucksvoll! Während die Dame neben mir eine Parfümwolke aus Brennspiritus, Weihnachtsduftkerze und Wunderbäumchen umgab und ich ehrlich froh war, dass an Board keine Feuerzeuge mehr erlaubt sind, hatte der Herr vor mir offensichtlich Maggi No. 5 aufgetragen um den zu befürchtenden Flugangstschweißgeruch zu überdecken. Ein eher entspannter Flieger schien hinter mir zu sitzen, denn noch während sich Kapitän Michael Schlotterbeck meldete, entledigte er sich seines Schuhwerks und untermalte das ohnehin schon brisante Gasgemisch mit einer feinen Limburger Note. Eigentlich der perfekte Moment für einen Praxistest der Sauerstoffmasken.
Als das Flugsicherheitsinformationsvideo abgespielt ist. Macht der Ober-Flugbegleiter seinen letzten Kontrollgang und muss, wie jedes Mal, warum auch immer, einige erneut darauf hinweisen, den Tisch hochzuklappen, die Rückenlehne gerade zu stellen und die Jalousie vom Fenster wieder zu öffnen, damit der Pilot beim Starten auch nach hinten rausschauen kann. 

Kaum ist der Flieger in der Luft springen die ersten auf und rennen auf die Toiletten. Parallel dazu werden Getränke und ein Snack vom Flugbegleitpersonal gereicht. Ich hatte noch, da ich in der drittletzten Reihe saß, die sensationelle Auswahl zwischen einer wabbeligen Laugenstange oder einem quietschsüßen Rosinenbrötchen ähnlicher Konsistenz. Ich bestellte zwei Getränke und entschied mich für die Laugenstange, die beim Verzehr im Mund mall locker zu zwei Laugenstangen wurde, mich aber so zumindest die erste Hälfte des Fluges gut beschäftigte. Der Rest war Lesen und Musik hören, doch während andere im Flugzeug ihren Sitznachbarn – und da diese offensichtlich immer schwerhörig sind, eigentlich dem halben Flugzeug – ihre gesamte Lebensgeschichte erzählen, sind Flugzeuge für mich eher so etwas wie Aufzüge: Da muss sich nicht unterhalten werden. Zum Glück hat das die Duftwolke, die dann unerwarteter Weise tatsächlich im selben Hotel urlaubte, ebenso gesehen und so lautete das vollständige Gesprächsprotokoll des knapp dreistündigen Flugs: „Hallo. Der Platz am Fenster ist meiner. – Schönen Urlaub!“

Am eindrucksvollsten sind aber immer noch die Szenen kurz nach der Landung. Nachdem der Pilot endlich die richtige Urlaubsinsel gefunden hatte – er hatte vermutlich die Cockpitfenster verschlossen, was auch seinen Wetterbericht (23°C und Gewitter erklärt) –, das Flugzeug geradeso mit den Hinterrädern die Landebahn berührt hatte und die Durchsage „bitte, noch sitzenbleiben“ ertönte, klickten die ersten Sicherheitsgurte und die ersten Ungeduldigen sprangen auf. Und ja, es gibt sie noch, die Landungsklatscher. Das würde ich mir übrigens auch mal wünschen, dass wenn ich meinen Job erledigt hab, alle Kunden in mein Büro kommen und applaudieren …
In der Sekunde, als das Flugzeug dann tatsächlich seine endgültige Parkposition erreicht hat, drängeln sich 90 Prozent der Passagiere in Richtung der Türen. Allen voran, eine Frau größeren Gewichts, deren Hauptproblem nun ist, ob auch am hinteren Ausgang die Airline-Schoko-Herzen verteilt werden und ob sie nicht gleich für ihre gesamte Sitzreihe die Süßigkeiten mitnehmen solle. Glücklicher Weise, gibt es auch hinten die roten Treueherzen, bei 26°C Außentemperatur und strahlend blauem Himmel, und sie muss nicht einmal komplett durch das ganze Flugzeug nach vorn stürmen um den schokoladenen Meilenbonus abzugreifen. Nachdem alle gehetzten im Flughafenbus auf mich und das Personal gewartet haben, geht’s zum Terminal, wo erneut die Hektiker zum Kofferband vorpreschen, um den besten Platz am selbigen, natürlich noch stillstehenden, zu ergattern.

Demnächst dann: Weiße Socken in Sandalen! Woran erkennt man den deutschen Touri? Und die Zerstörung des Urlaubseffekts in drei Schritten!

Freitag, 6. Februar 2015

Ich bin die Word-Datei

Ich muss gestehen, ich bin gescheitert! Auf ganzer Linie. Aber ich muss mir – beim besten Willen – wirklich nicht vorwerfen, ich hätte nicht alles versucht. Doch es wäre in diesem Fall viel zu einfach, den Grund meines Scheiterns bei anderen zu suchen. Und wenn ich sage: viel zu einfach, dann ist das die maximalste Untertreibung die mir einfällt.
Wir alle wissen ja, dass es irgendwo da draußen Menschen gibt von denen man behauptet sie seien dumm wie Brot. Solche Erscheinungen kann man zu Hauf im Vor- und Nachmittagsprogramm der privaten TV-Sender betrachten. Aber das ist Fernsehen, das ist nicht die Realität und man kann sich zumindest einreden, das wäre alles nur gespielt. Dennoch muss ich heute zu dem Schluss kommen, es gibt sie wirklich, Menschen bei denen jeder Versuch ihnen etwas beizubringen, begreiflich zu machen, Informationen zu vermitteln ins absolute Nichts läuft. Aber diese Gestalten können ja nix dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Deswegen ist eindeutig der Schuld, der nicht in der Lage ist ihnen dennoch etwas zu erklären. Ich gehöre seit heute dazu!
Und da ich nun ganz offiziell so jemanden kenne, stellen sich mir genau drei Fragen: 1.) wie, verdammt noch mal, im Arsch ist unser Bildungssystem, wenn so jemand es auch noch irgendwie zum Abitur geschafft hat? 2.) Merken diese Menschen eigentlich, dass sie in der Glockenkurve der Gaußschen Normalverteilung im ziemlich flachen Wasser schwimmen? Und 3.) Was macht man mit denen? Gedächtnis wie ein Sieb, nur die Löcher größer!
Meine Herausforderung besteht – nun schon seit einigen Wochen – darin, der Jugend der Welt nahezubringen, was ich beruflich so tue und was man alles so wissen könnte und idealerweise auch sollte, wenn man sich dazu entschieden hat einen iwmM-Beruf (irgendwas-mit-Medien) zu ergreifen. Ich muss zugeben, einem außenstehenden zu erklären, was ich beruflich genau mach‘, fällt auch mir nicht immer ganz leicht. Der Einfachheit halber muss ich das daher immer nur einem Menschenkind erklären, darf mir diese Aufgabe mit anderen Teilen und es steht dafür ein Zeitraum von drei bis vier Monaten zur Verfügung. Wie gesagt, dass ist für Neulinge wahrscheinlich nicht alles auf Anhieb leicht zu durchschauen, aber jetzt auch keine geheime Wissenschaft, die man nicht zumindest nach ein paar Wochen wenigstens grob überblicken kann. Vieles davon ist simples Abarbeiten von einfachen Handgriffen, für die es auch zahlreiche idiotensichere Anleitungen mit bunten Bildern und einfachen Texten gibt. Einzige Voraussetzung dafür, eine minimal größere Aufmerksamkeitsspanne als eine Fliege, die drei Mal in der Sekunde gegen eine Fensterscheibe fliegt und sich absolut nicht daran erinnern kann, woher sie die Kopfschmerzen hat.
Zudem bin ich ein durchaus geduldiger Mensch und als ich – recht frühzeitig – das geistige Potential der Anzulernenden erkannt hatte, war ich gern bereit auch die einfachsten Schritte zwei/drei/viermal zu zeigen und zu erklären, habe dieselben naiven Fragen mehrfach beantwortet und wollte die Hoffnung partout nicht aufgeben, dass die Erleuchtung irgendwann eintritt. Bei manchen fällt der Groschen halt Cent-weise. Immerhin suggerierte ein regelmäßiges, fiependes „mhh-mhh“ plus Kopfnicken während der Erklärungen, dass einzelne Schritte verstanden wurden. Wie sich herausstellte ein Irrglaube, denn das „mhh-mhh“ bedeutete nicht „aha“ oder „ja“ oder „verstehe“, sondern es hieß „ich bin noch hier und ich höre auch noch irgendwie zu, aber draußen scheint die Sonne und der Mauszeiger … hihi“. Also eher ein akustischer Totmann-Schalter, der alle paar Sekunden ertönt, damit man sicher gehen kann, dass nicht zwischenzeitlich in den Standby-Modus geschaltet wurde.
Da sich Erklären nicht wirklich als die perfekte Methodik herausgestellt hat um Informationen nachhaltig an das Stammhirn weiterzugeben, schließlich gibt es ja die unterschiedlichsten Lerntypen, startete ich einen neuen Versuch, Prinzip Problemlösung selbst erarbeiten. Relativ simple Aufgabe: Erstellen, Aufzeichnen eines Produktionsprozess-Ablaufplans. Auf gut deutsch: Malen Sie auf, welche Arbeitsschritte vom Anfang bis zum Ende durchzuführen sind. Fünf Wochen lang wurde gezeigt, erklärt, gezeigt, erklärt, gezeigt, erklärt, durfte selbst ausprobiert werden und wurde nochmal gezeigt und erklärt was nach und nach und warum getan wird. Als kleine Hilfe gab es einen bereits bestehenden Prozessplan (nicht mehr ganz 100%ig aktuelle, aber als Grundlage eigentlich schon fast zu viel des Guten), die Produktionsanleitung und die To-do-Liste.
Kennt ihr das, wenn man jemandem gegenübersteht, ihm etwas erzählt, er freundlich lächelt, aber man sich dabei selber unsicher wird, ob man nicht ausversehen plötzlich klingonisch spricht. So in etwa ist es mir ergangen als ich die Aufgabenstellung erläuterte. Als ich dann zum Ende sicherheitshalber nachfragte: „Aufgabe klar? Alles verstanden? Oder noch Fragen?“ und als Antwort erhielt: „Nö, alles gut!“, ließ ich mich, nach einem kurzen Stoßgebet, in meinen Bürostuhl sinken und hoffte das Beste. Gelegentlich schaute ich über meinen Monitor hinweg, um zu sehen, ob sich da etwas entwickelt, oder ob massive Fragezeichen im Raum schwebten. Als mich dann irgendwann das Gefühl beschlich, es stockt etwas … das Verhalten erinnert mich ein wenig an eine Katze, die wie hypnotisiert vor dem Aquarium sitz … wurde mir auf Nachfrage ein erster Ansatz des Prozessablaufplans vorgelegt, woraufhin es mir schwer fiel, die Contenance zu wahren und nicht loszuplärren: „Was soll’n die Scheiße?“. Tief durchatmen. „Also die Aufgabe war etwas anders gedacht.“ – in der Schule hätte es geheißen „Thema verfehlt“. Erklärungsversuch die Zweite: „Also am besten, sie  fangen am Anfang an und überlegen sich, wie das Endprodukt aussieht und anschließend ergänzen sie, welche Schritte von A bis Z notwendig sind. Ich zeig Ihnen das an einem Beispiel“.
„Okay“. – „Ist jetzt klar, was sie tun sollen?“ – Es kommt eine Nachfrage, die diese Frage klar mit nein beantwortet. In dem Moment erinnere ich mich, dass ich kürzlich drei Lehrbücher in der Hand hielt „Skikurs für Vorschulkinder“, „Skikurs für Grundschulkinder“, „Skikurs für Schulkinder“. Und glücklicher Weise hatte ich auch darin geblättert und hatte somit direkt einen neuen Lehransatz. Um das Niveau zu verdeutlichen, hier kurz die Beispiele, wie den Ski-kids das Kurvenfahren erklärt wurde: Vorschulkind: „Du bist ein Rennauto und fährst um die Fähnchen herum“; Grundschulkind: „Weißt du wie sich eine Schlange bewegt? Du fährst wie eine Schlange um die Stangen herum“; Schulkind: „Du fährst in einem gleichmäßigen Radius um die Torstangen herum“.
Ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen und wählte die Vorschul-Variante. Ich erklärte die Aufgabenstellung also wie folgt: „Stellen Sie sich vor, Sie sind das Manuskript, die Word-Datei. Aus Ihnen soll ein Buch werden. Was passiert mit Ihnen, von dem Zeitpunkt wo Sie in den Verlag kommen, bis Sie ein Buch sind?“.
Eine Stunde später, nachdem ich noch erfahren durfte, dass sich diese Woche (es war Donnerstag) aber mächtig zieht, war der Akku offensichtlich leer und die Erstellung des Ablaufplans wurde eigenständig auf den nächsten Tag verlegt. Ich schaute etwas verwundert, als ich nach einer kurzen Besprechung wieder in mein nun verwaistes Büro zurückkam. Aber ich wollte doch zumindest noch wissen, wie weit die Aufgabe vorangeschritten war und warf einen Blick auf den Schreibblock – eine fast leere Seite starrte mich an. Ich blätterte vor und zurück. Nichts weiter aus der fast leeren Seite. Ganz oben Stand nur ein Satz: „Ich bin die Word-Datei“.