Es ist kaum ein halbes Jahr her, da fand die
Leichtathletikweltmeisterschaft 2013 in Moskau statt, der Hauptstadt des
Landes, welches nun, seit letztem Wochenende, die Olympischen Winterspiele 2014
ausrichtet. Jetzt sind Olympische Spiele zweifelsohne noch eine Nummer größer
und bedeutender als eine jährlich stattfindende WM, aber rechtfertigt dies
auch, dass die Vorbehalte gegen den Ausrichter exponentiell größer sind als
sechs Monate zuvor? Und wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen alles
Schön- oder alles Schlecht-Reden? Propaganda bleibt Propaganda. Natürlich ist
nichts dagegen einzuwenden, wenn im Vorfeld eines so gigantischen Events
Reporter, Journalisten, Aktivisten etwas genauer hinschauen, Missstände
aufdecken und diese dann auch hemmungslos kommunizieren. Aber diese einseitige
Berichterstattung im Vorfeld der Spiele, in der mit aller Vehemenz, alles und
jeder kritisiert und für unwürdig erklärt wird, ist am Thema vorbei, peinlich
und abstoßend. Ja, es stimmt, es sind die mit Abstand teuersten Olympischen
Winterspiele, teurer als alle bisherigen einundzwanzig Olympischen Winterspiele
… zusammen! Aber das hat verschieden Ursachen: Korruption, Gigantismus um nur
zwei zu nennen. Und ja, es wurde (ziemlich sicher) ohne Rücksicht auf
Bevölkerung, Arbeiter, Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit ein riesiges neues
Wintersportgebiet erschaffen – aus dem Nichts – in nur sieben Jahren. Das kann
man kritisieren, sollte man mit gesundem Menschenverstand wohl sogar, doch aber
bitte etwas differenzierter und mit beiden Beinen auf dem Boden und gänzlich
ohne verlogene Doppelmoral und ohne dabei aus den Augen zu verlieren, worum es
eigentlich geht, oder gehen sollte. Die Olympischen Spiele sind schließlich
„nur“ eine Sportveranstaltung in deren Fokus die Athleten und der Wettkampf
stehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Meinungsmacher in den folgenden
sechszehn Tagen, während der insgesamt 98 Wettkämpfe, darauf besinnen und nicht
den fatalen Fehler begehen und Sport und Politik miteinander vermengen.
Am meisten aber regt mich auf, dass permanent die Lage des
Austragungsortes als absolutes No-go dargestellt wird. Klassischer Fall von
scheinheiliger Halbwahrheit oder um es mit Pipi Langstrumpf zu sagen: Ich mach
mir die Welt, wie sie mir gefällt. Sochi liegt in der Tat am Schwarzen Meer und
im Sommer ist es dort auch schön warm. Blöder Weise ist es das im Winter dort
aber nicht unbedingt. Beispiel folgt… Am Eröffnungstag der 22. Winterspiele lag
die Tageshöchsttemperatur im subtropischen Sochi bei 7°C, das mag zwar für
einen Wintersportort in der Tat zu warm sein, ist aber nur ein Grad mehr, als
in Turin (Austragungsort 2006) und 3 Grad mehr als in Pyeongchang (Südkorea,
2018). Allerdings lag die Temperatur damit um 1 Grad unter der Höchsttemperatur
in Salt Lake City (2002), 4 Grad unter der von Innsbruck (1964 und 1976) und
sogar ganze 7 Grad unter dem Tageshöchstwert von München, der beinahe
Kandidatenstadt für 2022, in der man heute durchaus auch im T-Shirt im
Biergarten hätte sitzen können. Und die Tatsache, dass Sochi am Wasser gebaut
ist, hat die Stadt am Rande des Kaukasus übrigens durchaus mit Oslo und
Vancouver gemein. Da hat im Vorhinein auch niemanden gestört, dass Menschen
eben dort im Sommer gelegentlich in kurzen Hosen herumlaufen können. Zu blöd,
dass man dann bei der Ankunft im olympischen Skigebiet Krasnaja Poljana völlig
unerwartet doch Schnee vorfand – wohlgemerkt echten Schnee – und es unvermeidlich
ist, TV-Bilder mit winterlichem Anschein gen Heimat zu schicken. Das hält aber
die Kommentatoren bisher trotzdem nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit sofort zu
erwähnen, wenn die Temperaturen vor Ort die magische Null-Grad-Marke
überschreiten.
Bleibt ja fast nur noch das meckern über nicht fertig
gewordene Unterkünfte, Sportstätten, Blumenbeete. Als Sinnbild hierfür mussten
die ersten Tage daher immer wieder die Selbe fragwürdig platzierte Heizung und
eine Doppeltoilette ohne Trennwand herhalten. Jede abgerissene Gardine, jede
lockere Schraube, jede zu wechselnde Glühbirne waren ein weiterer Beweis für
die Unfähigkeit der Ausrichter und wenn nicht gleich eine Eilmeldung, dann doch
zumindest Hohn und Spott wert. Dann treffen irgendwann die ersten Sportler ein
und sind völlig platt, dass ja doch alle Zimmer fertig sind und alles gar nicht
so kacke ist, wie ihnen prophezeit wurde. Im Gegenteil, die Athleten finden es sogar
ganz dufte in den drei olympischen Dörfern und sind froh über die kurzen Wege: „Wir
können in drei bis fünf Minuten zu den Strecken zu Fuß laufen“. Das sämtliche
Sportanlagen im Auge der Sportler dann auch noch ebenso modern, wie
anspruchsvoll und in top Zustand sein sollen, erscheint einem dann schon fast
unwirklich.
Naja, zum Glück gibt es immer noch den russischen
Präsidenten, der – wider Erwarten – dann doch nicht gleich selbst das
Olympische Feuer entfacht, aber für die westliche Welt als das personifizierte
Böse immer noch gut genug ist. Dabei ringt er doch mit der Ausrichtung der größten Sportevents - Olympia, Leichtathletik- und Fußball-WM - lediglich um etwas Anerkennung in der Welt und versucht sein Volk wieder etwas stolzer zu machen. Ohne Zweifel, ist Putins politisches Handeln aus
unserer Perspektive und unserem Verständnis heraus in vielen Fällen mehr als nur
Hinterfragens wert, aber wie weiter oben schon gesagt, gehören Olympische
Spiele und Weltpolitik nicht wirklich zusammen und daher kann ich mich nur der
Meinung von Wladimir Kaminer zu 100 % anschließen: „Ich finde Kritik super! Das
ist genau das, was Russland braucht. Was ich als falsch empfinde, sind die
Boykotts. Wenn beispielsweise der deutsche Bundespräsident den Spielen den
Rücken kehrt. Das ist eine sehr naive und kindische Haltung. Gerade in unserer
Zeit, wo die Welt eine kleine Kugel geworden ist, wo alles mit allem verbunden
ist, kann man ein so ein großes Land wie Russland doch nicht außer Acht lassen.
Im Gegenteil: Da soll man hinfahren und soll meckern. Und man soll sich über
unfertige Hotels beschweren. Übrigens haben Österreicher diese Hotels gebaut
...“ (tagesschau.de, 5.2.2014, Interview mit S. Stalinski, https://www.tagesschau.de/ausland/interview-kaminer100.html).
Und ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage,
aber zur Eröffnungsfeier habe ich mir ehrlich gedacht: schade, dass Guido
Westerwelle nicht mehr Außenminister ist, der hätte im offiziellen deutschen
Olympia-Outfit auf der Ehrentribüne neben Wladimir Putin echt ein tolles Bild
abgegeben.
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