Montag, 10. Februar 2014

Olympia in Sochi - Stolz und Vorurteil



Es ist kaum ein halbes Jahr her, da fand die Leichtathletikweltmeisterschaft 2013 in Moskau statt, der Hauptstadt des Landes, welches nun, seit letztem Wochenende, die Olympischen Winterspiele 2014 ausrichtet. Jetzt sind Olympische Spiele zweifelsohne noch eine Nummer größer und bedeutender als eine jährlich stattfindende WM, aber rechtfertigt dies auch, dass die Vorbehalte gegen den Ausrichter exponentiell größer sind als sechs Monate zuvor? Und wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen alles Schön- oder alles Schlecht-Reden? Propaganda bleibt Propaganda. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn im Vorfeld eines so gigantischen Events Reporter, Journalisten, Aktivisten etwas genauer hinschauen, Missstände aufdecken und diese dann auch hemmungslos kommunizieren. Aber diese einseitige Berichterstattung im Vorfeld der Spiele, in der mit aller Vehemenz, alles und jeder kritisiert und für unwürdig erklärt wird, ist am Thema vorbei, peinlich und abstoßend. Ja, es stimmt, es sind die mit Abstand teuersten Olympischen Winterspiele, teurer als alle bisherigen einundzwanzig Olympischen Winterspiele … zusammen! Aber das hat verschieden Ursachen: Korruption, Gigantismus um nur zwei zu nennen. Und ja, es wurde (ziemlich sicher) ohne Rücksicht auf Bevölkerung, Arbeiter, Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit ein riesiges neues Wintersportgebiet erschaffen – aus dem Nichts – in nur sieben Jahren. Das kann man kritisieren, sollte man mit gesundem Menschenverstand wohl sogar, doch aber bitte etwas differenzierter und mit beiden Beinen auf dem Boden und gänzlich ohne verlogene Doppelmoral und ohne dabei aus den Augen zu verlieren, worum es eigentlich geht, oder gehen sollte. Die Olympischen Spiele sind schließlich „nur“ eine Sportveranstaltung in deren Fokus die Athleten und der Wettkampf stehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Meinungsmacher in den folgenden sechszehn Tagen, während der insgesamt 98 Wettkämpfe, darauf besinnen und nicht den fatalen Fehler begehen und Sport und Politik miteinander vermengen.
Am meisten aber regt mich auf, dass permanent die Lage des Austragungsortes als absolutes No-go dargestellt wird. Klassischer Fall von scheinheiliger Halbwahrheit oder um es mit Pipi Langstrumpf zu sagen: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Sochi liegt in der Tat am Schwarzen Meer und im Sommer ist es dort auch schön warm. Blöder Weise ist es das im Winter dort aber nicht unbedingt. Beispiel folgt… Am Eröffnungstag der 22. Winterspiele lag die Tageshöchsttemperatur im subtropischen Sochi bei 7°C, das mag zwar für einen Wintersportort in der Tat zu warm sein, ist aber nur ein Grad mehr, als in Turin (Austragungsort 2006) und 3 Grad mehr als in Pyeongchang (Südkorea, 2018). Allerdings lag die Temperatur damit um 1 Grad unter der Höchsttemperatur in Salt Lake City (2002), 4 Grad unter der von Innsbruck (1964 und 1976) und sogar ganze 7 Grad unter dem Tageshöchstwert von München, der beinahe Kandidatenstadt für 2022, in der man heute durchaus auch im T-Shirt im Biergarten hätte sitzen können. Und die Tatsache, dass Sochi am Wasser gebaut ist, hat die Stadt am Rande des Kaukasus übrigens durchaus mit Oslo und Vancouver gemein. Da hat im Vorhinein auch niemanden gestört, dass Menschen eben dort im Sommer gelegentlich in kurzen Hosen herumlaufen können. Zu blöd, dass man dann bei der Ankunft im olympischen Skigebiet Krasnaja Poljana völlig unerwartet doch Schnee vorfand – wohlgemerkt echten Schnee – und es unvermeidlich ist, TV-Bilder mit winterlichem Anschein gen Heimat zu schicken. Das hält aber die Kommentatoren bisher trotzdem nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit sofort zu erwähnen, wenn die Temperaturen vor Ort die magische Null-Grad-Marke überschreiten.
Bleibt ja fast nur noch das meckern über nicht fertig gewordene Unterkünfte, Sportstätten, Blumenbeete. Als Sinnbild hierfür mussten die ersten Tage daher immer wieder die Selbe fragwürdig platzierte Heizung und eine Doppeltoilette ohne Trennwand herhalten. Jede abgerissene Gardine, jede lockere Schraube, jede zu wechselnde Glühbirne waren ein weiterer Beweis für die Unfähigkeit der Ausrichter und wenn nicht gleich eine Eilmeldung, dann doch zumindest Hohn und Spott wert. Dann treffen irgendwann die ersten Sportler ein und sind völlig platt, dass ja doch alle Zimmer fertig sind und alles gar nicht so kacke ist, wie ihnen prophezeit wurde. Im Gegenteil, die Athleten finden es sogar ganz dufte in den drei olympischen Dörfern und sind froh über die kurzen Wege: „Wir können in drei bis fünf Minuten zu den Strecken zu Fuß laufen“. Das sämtliche Sportanlagen im Auge der Sportler dann auch noch ebenso modern, wie anspruchsvoll und in top Zustand sein sollen, erscheint einem dann schon fast unwirklich.
Naja, zum Glück gibt es immer noch den russischen Präsidenten, der – wider Erwarten – dann doch nicht gleich selbst das Olympische Feuer entfacht, aber für die westliche Welt als das personifizierte Böse immer noch gut genug ist. Dabei ringt er doch mit der Ausrichtung der größten Sportevents - Olympia, Leichtathletik- und Fußball-WM - lediglich um etwas Anerkennung in der Welt und versucht sein Volk wieder etwas stolzer zu machen. Ohne Zweifel, ist Putins politisches Handeln aus unserer Perspektive und unserem Verständnis heraus in vielen Fällen mehr als nur Hinterfragens wert, aber wie weiter oben schon gesagt, gehören Olympische Spiele und Weltpolitik nicht wirklich zusammen und daher kann ich mich nur der Meinung von Wladimir Kaminer zu 100 % anschließen: „Ich finde Kritik super! Das ist genau das, was Russland braucht. Was ich als falsch empfinde, sind die Boykotts. Wenn beispielsweise der deutsche Bundespräsident den Spielen den Rücken kehrt. Das ist eine sehr naive und kindische Haltung. Gerade in unserer Zeit, wo die Welt eine kleine Kugel geworden ist, wo alles mit allem verbunden ist, kann man ein so ein großes Land wie Russland doch nicht außer Acht lassen. Im Gegenteil: Da soll man hinfahren und soll meckern. Und man soll sich über unfertige Hotels beschweren. Übrigens haben Österreicher diese Hotels gebaut ...“ (tagesschau.de, 5.2.2014, Interview mit S. Stalinski, https://www.tagesschau.de/ausland/interview-kaminer100.html). 
Und ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, aber zur Eröffnungsfeier habe ich mir ehrlich gedacht: schade, dass Guido Westerwelle nicht mehr Außenminister ist, der hätte im offiziellen deutschen Olympia-Outfit auf der Ehrentribüne neben Wladimir Putin echt ein tolles Bild abgegeben.

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