Samstag, 13. Juli 2013

Langdons vierte Schnitzeljagd

oder Dan Browns Inferno

Mattschwarzer Umschlag, eine ganz in rot gehaltene Illustration, am oberen Rand der Autorenname in weißen Versalien und darunter der Titel in den charakteristischen großen, blutroten Lettern. So zumindest sahen die ersten drei Brown'chen Langdon-Titel aus. Diesmal aber war ein besonders kreativer Grafiker am Werk und so passt der vierte Teil der Langdon-Trilogie im Buchregal so gut zu den anderen, wie Bushido auf den Christopher Street Day (wenn der das hier liest, widmet er mir bestimmt auch einen "Song" - aber der kann vermutlich gar nicht lesen). Aber genug der Äußerlichkeiten. Bei einem Buch ist ja vor allem das zwischen den beiden Deckeln entscheidend. 

 
Am 14. Mai war es also soweit, der neue Bestseller von Dan Brown erschien und ich habe mich direkt auf den Weg in die nächste kleine Buchhandlung - unterstützt den Mittelstand - gemacht, um den Wälzer käuflich zu erwerben. Auch wenn die Lektüre von Dan Brown gelegentlich, und nicht ganz zu unrecht, mit dem Verzehr von Fast Food verglichen wird, so weiß man doch wenigstens von vornherein, woran man ist: leichte Lektüre und eine 1a Verschwörungstheorie. Das erste Abenteuer des Harvard-Professors - Illuminati - führte ihn erst nach, und anschließend kreuz und quer durch Rom, um direkt vor Ort die katholische Kirche vor dem Untergang zu retten. In Sakrileg - The Da Vinci Code jagt der Symbologe auf den Spuren des Renaissance-Künstlers durch Paris und London und es gelingt ihm ein zweites Mal die Kirche vor der Vernichtung zu bewahren. Nachdem der dritte Teil Das verlorene Symbol dann in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. spielte und hier die Freimaurer "abgearbeitet" wurden, ging es in Inferno für Langdon zurück nach Italien, nach Florenz und Venedig und schließlich nach Istanbul. Zu entschlüsseln gilt es diesmal die Werke des mittelalterlichen Dichters und Philosophen Dante Alighieri und dessen Göttlicher Komödie, deren erster Teil Inferno auch als Titel herhalten musste. Inferno, übersetzt aus dem italienischen, bezeichnet die Hölle. Aber ganz so schlimm ist das Buch dann doch nicht. Zumindest wenn man sich durch die ersten zähen Kapitel gekämpft hat und so langsam etwas Struktur in die Schnitzeljagd kommt. Natürlich darf auch dieses Mal die attraktive junge Begleiterin an Langdons Seite nicht fehlen, ebenso wie der Schurke, der die Welt zerstören möchte. Allerdings kommt es nie zu einer wirklichen Konfrontation mit dem Schweizer Milliardär und Genforscher Bertrand Zobrist, da dieser quasi noch vor Beginn der eigentlichen Geschichte Suizid begeht. Außerdem in die Geschichte involviert sind die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, und eine zwiespältige Untergrundorganisation bestehend aus Geheimagenten und Söldnern.
Ganz Dan Brown typisch hangelt sich die Story gewohnt flüssig und spannend von Cliffhanger zu Cliffhanger, von einer unerwarteten Wendung zur nächsten und bietet dabei jede Menge Informationen zu den Werken von Dante Alighieri, den Florentiner Bauwerken, den darin versteckten Kunstwerken, sowie den Sehenswürdigkeiten und der Historie der Lagunenstadt Venedig. Das zentrale Thema der Geschichte und damit auch die Ursache für den gesamten Konflikt, ist jedoch die Gefahr der Überbevölkerung und den damit einhergehenden Problemen in der Welt. Die diesbezüglich verarbeitet Fakten scheinen, ebenso wie die zu Kunst und Geschichte, durchaus der Wahrheit zu entsprechen und regen den Leser zumindest zum nachdenken an. Aber zu der Thematik schreibe ich vielleicht später noch einmal etwas... (Achtung: Cliffhanger - kann ich nämlich auch!)
Trotz der unzähligen zu lösenden Rätsel, dramatischen Wendungen, Verfolgungsjagden, Stuntszenen und Ortswechsel hat die Geschichte ein Problem, dass heißt eigentlich sogar zwei! Erstens: die Entschlüsselung des viel-stufigen Rätsels führt die Protagonisten am Ende zwar zum Ort des Geschehens, nach Istanbul, hilft aber nicht, das zu verhindern, was alle Gegenspieler - die gesamten 680 Seiten lang - irgendwie versuchen aufzuhalten. Und wie sich herausstellt war das, frei nach dem Motto "Der Weg ist das Ziel", auch vom Bösewicht von Anfang an so geplant. Aber wozu dann das Rätsel? Und Zweitens: durch die unsäglich vielen Wendungen, wer sind die Guten?, wer sind die Bösen?, scheint der Autor schlussendlich selbst den Überblick verloren zu haben und der Einfachheit halber stehen am Ende alle, die sich über hundert Kapitel lang gejagt, beschossen, schikaniert und verfolgt haben, auf der selben Seite zusammen. Ist aber im Endeffekt eigentlich auch nicht wirklich schlimm, denn die Geschichte bietet auch zwei, gut versteckte, kleine Highlights. In Kapitel 86 schießt der Autor verbal gegen verschiedene Geheimdienste und Regierungen und deren Täuschungsmanöver und Lügengeschichten zur Rechtfertigung des eigenen Handelns und bezieht zum Beispiel klar Stellung gegen den Irakkrieg. Nahezu gleichzeitig nimmt er mit einem Augenzwinkern Verschwörungstheorien auf die Schippe und damit auch die Grundlage seiner eigenen Bücher. Einen richtigen Anflug von Selbstironie hatte Dan Brown allerdings in Kapitel 60, als er und sein Held Robert Langdon, der ja ebenfalls Autor ist, förmlich zu einer Person verschmelzen und Brown die ständigen Verschiebungen des Erscheinungstermins von The Lost Symbol geschickt verwurstet. Langdon bittet seinen Verleger um die Bereitstellung eines Privatflugzeugs, woraufhin dieser eiskalt antwortet: "Okay, lassen Sie mich das anders formulieren. Wir haben keine Privatflugzeuge für Autoren, die dicke Bücher über Religionsgeschichte schreiben. Wenn Sie Fifty Shades of Iconography schreiben wollen, können wir darüber reden." Doch Langdon gibt nicht auf: "egal, was der Flug kostet, ich werde es zurückzahlen. Sie haben mein Wort darauf. Habe ich je ein Versprechen gebrochen?" Darauf die Antwort des Verlegers: "Abgesehen davon, dass du deinen letzten Abgabetermin um drei Jahre überzogen hast?" Zugegeben ein Gag, der sich nur den Langdon-Fans erschließt, dann aber umso witziger ist.
Fazit: Dan Brown bleibt seinem Prinzip treu und liefert mit Inferno erneut einen lesbaren Action-Thriller und leichte unterhaltsame Lektüre, gespickt mit Kunst- und Geschichtsdetails, ab. Die Story selbst ist in meinen Augen gelungener als im Vorgängerband, reicht aber nicht an Illuminati (abgesehen vom katastrophal übertriebenen Ende) und Sakrileg (meinem persönlichen Favoriten) heran. Und wenn man Tom Hanks noch einmal überreden kann, kann auch ein weiterer Blockbuster daraus werden. Genug Potential für Stunt- und Actionszenen, sowie Spielraum zum Einkürzen der Story auf neunzig Minuten, ist durchaus vorhanden.

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