oder Dan Browns Inferno
Mattschwarzer
Umschlag, eine ganz in rot gehaltene Illustration, am oberen Rand der
Autorenname in weißen Versalien und darunter der Titel in den
charakteristischen großen, blutroten Lettern. So zumindest sahen die
ersten drei Brown'chen Langdon-Titel aus. Diesmal aber war ein
besonders kreativer Grafiker am Werk und so passt der vierte Teil der
Langdon-Trilogie im Buchregal so gut zu den anderen, wie Bushido auf
den Christopher Street Day (wenn der das hier liest, widmet er mir
bestimmt auch einen "Song" - aber der kann vermutlich gar
nicht lesen). Aber genug der Äußerlichkeiten. Bei einem Buch ist
ja vor allem das zwischen den beiden Deckeln entscheidend.
Am
14. Mai war es also soweit, der neue Bestseller von Dan Brown
erschien und ich habe mich direkt auf den Weg in die nächste kleine
Buchhandlung - unterstützt den Mittelstand - gemacht, um den Wälzer
käuflich zu erwerben. Auch wenn die Lektüre von Dan Brown
gelegentlich, und nicht ganz zu unrecht, mit dem Verzehr von Fast
Food verglichen wird, so weiß man doch wenigstens von vornherein,
woran man ist: leichte Lektüre und eine 1a Verschwörungstheorie.
Das erste Abenteuer des Harvard-Professors - Illuminati - führte ihn
erst nach, und anschließend kreuz und quer durch Rom, um direkt vor
Ort die katholische Kirche vor dem Untergang zu retten. In Sakrileg - The Da Vinci Code jagt der Symbologe auf den Spuren des
Renaissance-Künstlers durch Paris und London und es gelingt ihm ein
zweites Mal die Kirche vor der Vernichtung zu bewahren. Nachdem der
dritte Teil Das verlorene Symbol dann in der US-amerikanischen
Hauptstadt Washington D.C. spielte und hier die Freimaurer
"abgearbeitet" wurden, ging es in Inferno für Langdon
zurück nach Italien, nach Florenz und Venedig und schließlich nach
Istanbul. Zu entschlüsseln gilt es diesmal die Werke des
mittelalterlichen Dichters und Philosophen Dante Alighieri und dessen
Göttlicher Komödie, deren erster Teil Inferno auch als Titel
herhalten musste. Inferno, übersetzt aus dem italienischen,
bezeichnet die Hölle. Aber ganz so schlimm ist das Buch dann doch
nicht. Zumindest wenn man sich durch die ersten zähen Kapitel
gekämpft hat und so langsam etwas Struktur in die Schnitzeljagd
kommt. Natürlich darf auch dieses Mal die attraktive junge
Begleiterin an Langdons Seite nicht fehlen, ebenso wie der Schurke,
der die Welt zerstören möchte. Allerdings kommt es nie zu einer
wirklichen Konfrontation mit dem Schweizer Milliardär und
Genforscher Bertrand Zobrist, da dieser quasi noch vor Beginn der
eigentlichen Geschichte Suizid begeht. Außerdem in die Geschichte
involviert sind die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, und eine
zwiespältige Untergrundorganisation bestehend aus Geheimagenten und
Söldnern.
Ganz Dan Brown typisch
hangelt sich die Story gewohnt flüssig und spannend von Cliffhanger
zu Cliffhanger, von einer unerwarteten Wendung zur nächsten und
bietet dabei jede Menge Informationen zu den Werken von Dante
Alighieri, den Florentiner Bauwerken, den darin versteckten
Kunstwerken, sowie den Sehenswürdigkeiten und der Historie der
Lagunenstadt Venedig. Das zentrale Thema der Geschichte und damit
auch die Ursache für den gesamten Konflikt, ist jedoch die Gefahr
der Überbevölkerung und den damit einhergehenden Problemen in der
Welt. Die diesbezüglich verarbeitet Fakten scheinen, ebenso wie die
zu Kunst und Geschichte, durchaus der Wahrheit zu entsprechen und
regen den Leser zumindest zum nachdenken an. Aber zu der Thematik
schreibe ich vielleicht später noch einmal etwas... (Achtung:
Cliffhanger - kann ich nämlich auch!)
Trotz der unzähligen zu
lösenden Rätsel, dramatischen Wendungen, Verfolgungsjagden,
Stuntszenen und Ortswechsel hat die Geschichte ein Problem, dass
heißt eigentlich sogar zwei! Erstens: die Entschlüsselung des
viel-stufigen Rätsels führt die Protagonisten am Ende zwar zum Ort
des Geschehens, nach Istanbul, hilft aber nicht, das zu verhindern,
was alle Gegenspieler - die gesamten 680 Seiten lang - irgendwie
versuchen aufzuhalten. Und wie sich herausstellt war das, frei nach
dem Motto "Der Weg ist das Ziel", auch vom Bösewicht von
Anfang an so geplant. Aber wozu dann das Rätsel? Und Zweitens: durch
die unsäglich vielen Wendungen, wer sind die Guten?, wer sind die
Bösen?, scheint der Autor schlussendlich selbst den Überblick
verloren zu haben und der Einfachheit halber stehen am Ende alle, die
sich über hundert Kapitel lang gejagt, beschossen, schikaniert und
verfolgt haben, auf der selben Seite zusammen. Ist aber im Endeffekt
eigentlich auch nicht wirklich schlimm, denn die Geschichte bietet
auch zwei, gut versteckte, kleine Highlights. In Kapitel 86 schießt
der Autor verbal gegen verschiedene Geheimdienste und Regierungen und
deren Täuschungsmanöver und Lügengeschichten zur Rechtfertigung
des eigenen Handelns und bezieht zum Beispiel klar Stellung gegen den
Irakkrieg. Nahezu gleichzeitig nimmt er mit einem Augenzwinkern
Verschwörungstheorien auf die Schippe und damit auch die Grundlage seiner eigenen Bücher. Einen richtigen Anflug von
Selbstironie hatte Dan Brown allerdings in Kapitel 60, als er und
sein Held Robert Langdon, der ja ebenfalls Autor ist, förmlich zu
einer Person verschmelzen und Brown die ständigen Verschiebungen des
Erscheinungstermins von The Lost Symbol geschickt verwurstet. Langdon
bittet seinen Verleger um die Bereitstellung eines Privatflugzeugs,
woraufhin dieser eiskalt antwortet: "Okay, lassen Sie mich das
anders formulieren. Wir haben keine Privatflugzeuge für Autoren, die
dicke Bücher über Religionsgeschichte schreiben. Wenn Sie Fifty
Shades of Iconography schreiben wollen, können wir darüber reden."
Doch Langdon gibt nicht auf: "egal, was der Flug kostet, ich
werde es zurückzahlen. Sie haben mein Wort darauf. Habe ich je ein
Versprechen gebrochen?" Darauf die Antwort des Verlegers:
"Abgesehen davon, dass du deinen letzten Abgabetermin um drei
Jahre überzogen hast?" Zugegeben ein Gag, der sich nur den
Langdon-Fans erschließt, dann aber umso witziger ist.
Fazit: Dan Brown bleibt
seinem Prinzip treu und liefert mit Inferno erneut einen lesbaren
Action-Thriller und leichte unterhaltsame Lektüre, gespickt mit
Kunst- und Geschichtsdetails, ab. Die Story selbst ist in meinen
Augen gelungener als im Vorgängerband, reicht aber nicht an
Illuminati (abgesehen vom katastrophal übertriebenen Ende) und
Sakrileg (meinem persönlichen Favoriten) heran. Und wenn man Tom
Hanks noch einmal überreden kann, kann auch ein weiterer Blockbuster daraus
werden. Genug Potential für Stunt- und Actionszenen, sowie Spielraum
zum Einkürzen der Story auf neunzig Minuten, ist durchaus vorhanden.
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